Sophies Kurs
Worte im Hals stecken. »Ich habe schon einen Namen. Ich heiße Sophie Farthing.«
»Farthing«, murmelte er nachdenklich und tat einen langen Zug aus seinem Glas. »Ich erinnere mich noch, daß sie das immer sagte.
Mein Name ist Farthing – für Euch aber bei weitem mehr wert als nur diese Münze, Captain!«
Ausgezeichnet, dachte ich, reden wir über Mama. »Nannte sie Sie Captain?«
»Sie nennen alle Männer Captain«, erklärte er mir. »Sie hatte keine Ahnung, wer ich war, die dumme Kreatur, zumindest nicht im Anfang. Als sie es erfuhr, waren wir schon sehr vertraut miteinander. Und ich war ein junger Narr. Alle jungen Männer sind Narren.« Er hob das Bein, um wieder nach Bruno zu treten, doch er saß zu weit entfernt.
»Ich hole Ihnen noch etwas Wein, Vater«, sagte ich und griff nach der Flasche. »Ich traf jemand, der Mama kannte.« Ich mußte mich zusammenreißen, um nicht zu sehr zu zittern, als ich den Rest aus der Flasche in sein Glas goß. »Sie nannte sich Mrs. Clare.«
»Sie war meine Molly«, murmelte er. »Meine Molly Clare.« Er nahm einen Schluck und grinste wieder schweinisch.
»Ich habe den Farthing fallengelassen –
das war das andere, das sie immer gesagt hat.
Hab meinen Farthing auf der Straße fallenlassen, und er rollte davon in ein Loch. Wollt Ihr das Loch sehen, in das er gerollt ist, Captain?«
Seine Stimme wurde wieder kräftiger. »Bei Gottes falschen Zähnen – sie wußte, wie man das Blut eines Mannes in Wallung brachte ...«
Ich glaube, er hatte für einen Moment vergessen, daß er mit seiner eigenen Tochter sprach, oder es kümmerte ihn nicht. »Doch am Ende mußte sie gehen. Alle müssen am Ende gehen.« Irritiert runzelte er die Stirn. »Sie hatte es sich in ihren verdammten Hurenschädel gesetzt, mir einen Brief zu schreiben.«
Er stierte mich mit unverhohlenem Abscheu an und griff, noch ehe ich genug Mut gesammelt hatte, sie ihm über den Kopf zu schlagen, nach der Flasche. Prüfend hielt er sie hoch. »Leer. Wenn du nichts mehr trinken willst, kannst du ebenso gut jetzt verschwinden. Ich bin froh, wenn ich dich endlich los bin.«
Beklommen starrte ich ihn an, während Brunos Messer nach meinen Fingern rief. Was meinte er damit? Wollte er mich zum Schiff zurückschicken? Wartete die
Unco Stratagem
auf mich, um mich in ein anderes Exil oder vielleicht gar in einen fliegenden Elfenbeinturm zu befördern?
»Nun, worauf, zum Teufel, wartest du noch?« fragte mein Vater schwerfällig und wedelte mit der Hand, als wolle er mich aus dem Salon fegen. »Nun geh schon, beweg dich!« Er erhob sich, nahm eines der Krummschwerter und fuhr mit seinem breiten Daumen über die Klinge. »Lady Sophie Farthing!« knurrte er verächtlich. »Hurenbalg! Du kannst wohl noch auf deinen eigenen Beinen gehen und meine alten Knochen schonen.« Er grinste gemein. »Ich würde ja meinen Diener rufen, um dich nach unten zu begleiten, doch leider ist er ein wenig indisponiert ...«
Nach unten bedeutete: nicht fort aus diesem Haus, nicht zum Schiff. Ich wußte nicht, was unten war. Waren wir nicht schon so viele Stufen hinabgestiegen?
Doch ich hatte keine Wahl. Ich wußte, mein Messer war nutzlos, selbst wenn er mir den Rücken zuwenden würde. Sicher hatte er in seinen Kleidern Waffen versteckt, unheimliche Geräte, die er selbst gebaut hatte. Er brauchte sicher nur den Mund einen Spalt weit zu öffnen, und ein Schwarm venusianischer Piranha-Fliegen würde herausschwärmen.
»Mir macht es nichts aus, zu Fuß zu gehen«, erklärte ich. »Ich bin schon durch ganz London gelaufen.«
Er nahm sein Glas und das Schwert. Kalt und gefährlich hing es in seiner fülligen Hand. Ich ging vor ihm her auf die Bildergalerie zu. Ich dachte an den toten Diener, der dort mit verdrehten und herausgerissenen Gliedern unter dem Kronleuchter lag. Kurz vor den gläsernen Schwingtüren überlegte ich einen Moment lang, meinem Vater davonzulaufen. Dann sah ich durch die Scheiben im Schein der nicht erlöschenden Kerzen die undeutlichen Porträts meiner Großväter ringsum im Raum und stellte mir vor, wie sie auf den letzten ihrer Linie herniederblicken würden, während er mir den Bauch aufschlitzte. Und schon hatten mich meine Füße durch die Schwingtür getragen. Hilflos ging ich den heißen Korridor entlang.
»Hier durch«, sagte mein Vater. Es war ein großer dunkler Raum, erfüllt vom Ticken der Uhren. Dunkle Schattengebilde hingen in der Luft. Wieder dachte ich daran, hier meinem Vater zu entwischen und mich
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