Sophies Kurs
hörte seine blanken schwarzen Schuhe eilig den Gang entlangknarren.
Ich packte meinen Helm und lief ebenfalls hinaus. Der Oberschreiber war zu langsam und zu ehrwürdig. Seine eigenen schweren Möbel erwiesen sich nun als Falle, denn er konnte mir nicht rasch genug folgen. Als ich in die Vorhalle hinausschoß, hörte ich ihn rufen: »Henderson! Henderson!«
Henderson war in die eine Richtung gegangen. Ich nahm die andere. Ich raffte meinen Mantel hoch und hastete um eine Ecke, wobei ich fast mit einem jungen Mann zusammenstieß, der einen Handwagen voller Dokumente vor sich herschob. Ich hob den Arm und wischte den Stapel mit meinem Helm vom Wagen. Die Dokumente segelten durch die Luft und klatschten auf den Boden. Ich rannte weiter. Wie Fledermäuse spiralten einzelne Blätter durch die Luft, und durch die ehrwürdigen hohen Gänge hallte lautes Geschrei. Ich duckte mich an einem Jungen vorbei, der unter jedem Arm einen gewichtigen Wälzer trug, und fand mich am unteren Ende einer schlechtbeleuchteten Wendeltreppe wieder. Mein Körpergewicht, die schweren Kleider, die lauten Pantinen verfluchend stieg ich nach oben. Ein Konstabler würde mich nach Hause schicken, wenn er mich nicht gar einsperrte. Sie würden mir Mamas Ring abnehmen und ihn nie zurückgeben. Aufs Geratewohl hastete ich einen Korridor entlang. Gesichter tauchten in Türen auf und sahen mir verwundert nach. Finger zeigten auf mich.
Ich wirbelte in eine Halle, deren Wände mit monströsen weißen Ameisen und ausgestopften toten Fischen aus der Tiefsee geschmückt waren. Vor mir sah ich das matte Schimmern von Sonnenlicht. Ich eilte ein paar Stufen hinunter, huschte an einigen Zierbüsten vorbei und rannte beinahe einem Kurier in die Arme, der Schnallenschuhe trug und von rechts kam. Ich duckte mich an ihm vorbei und stürzte auf das Portal zu. Der Kurier prallte mit dem ältlichen Portier zusammen, der mich im gleichen Moment von links abfangen wollte. Ich stürmte auf die Straße hinaus. Meine Lungen pfiffen von der dünnen Luft.
Ich befand mich auf der anderen Seite des Gebäudes in einer Straße mit modischen Geschäften. Nicht zum ersten Mal in meinem Leben suchte ich Zuflucht in der Menge. Ich rannte durch die Menschenschlangen, bis ich nicht mehr weiterkonnte, und zwang mich dazu, so schnell wie möglich weiter hügelabwärts zu gehen. Mein Herz schlug so heftig, als wolle es zerspringen, und meine Beine schmerzten von dem ungewohnten Gewicht, das ich mit mir herumschleppte. Über meinem Kopf kreuzten die Vergnügungsschiffe am staubigen Himmel. Ich wagte einen Blick zurück über meine Schulter, konnte aber keine Verfolger entdecken. Ich war wütend und erschrocken zugleich und hatte das Gefühl, daß alle Leute mich anstarrten. Ich ging weiter in Richtung des Hafens.
In den Arkaden sah ich Damen in teuren Kleidern stehenbleiben und die Auslagen der Läden betrachten. In den erleuchteten Schaufenstern saßen oder bewegten sich jüngere Frauen, drehten und wendeten sich, um die neueste Pariser Mode vorzuführen. Inzwischen bin ich durch Zufall wieder mal dort gewesen – und fand mich, als ich um eine Ecke ging, völlig überraschend in jenem Distrikt wieder, aus dem ich damals als junges Mädchen voller Furcht sofort geflüchtet wäre. Eine Frau, sagen wir, in einem Tweed-Kostüm steht dort und schaut durch eine Glasscheibe auf einen andere, die ein Abendkleid aus eisblauem Tüll trägt. Beide Frauen wünschen sich offenbar, jeweils die andere zu sein. Die eine draußen hat Geld, aber keine Zufriedenheit; die andere drinnen hat kein Geld und auch keine Zufriedenheit, wäre aber lieber frei und in Paris oder Konstantinopel, statt den ganzen Tag in diesem Schaufenster zu sitzen.
In den Cafés sah ich Herren sitzen und mit ihren Partnern reden, die ich als Handelsherren einschätzen würde. Gewöhnlich sitzen sie an Tischen aus Mondfelsen und trinken Brandy mit Mineralwasser, eine Schale mit den Marshmallows des Tages griffbereit daneben. Wenig später setzen sie dann ihre Hüte auf und fahren mit einem Taxi zu einer Sitzung, bei der sie die Hafengebühren erhöhen und den Drogenzustrom von Jupiter verurteilen. Damals jedoch bemerkte ich nur, daß sie Monokel trugen, sich die Oberlippenbärte bürsteten und um die Hüften ziemlich fett waren. Und ich fühlte, daß unter ihnen kein einziger war, der mir geholfen hätte. Daher eilte ich weiter, tiefer hinein in die kalte Brise und den Staub, der von der See herüber-wehte.
Schließlich
Weitere Kostenlose Bücher