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Sophies Kurs

Titel: Sophies Kurs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
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erreichte ich das Tor zum Pier und begab mich in die Seitenstraßen, um mir ein Gasthaus zu suchen. Ich mochte Gasthäuser nicht. Tatsächlich hatte ich nie eins von innen kennengelernt, hatte nur gelegentlich einen Blick ins Innere des
Kormoran
werfen können, wenn ich zufällig dort vorbeikam. Aber ich wußte, daß die Männer, die ich suchte, sich dort gern trafen und ihr schwerverdientes Silber für gestopfte Tabakpfeifen und volle Bierkrüge ausgaben. Genau gegenüber auf der anderen Straßenseite war eine dieser Bars – ich habe den Namen auf dem Schild vergessen, sie hieß entweder
Meerjungfrau
oder
Zum Hafenfaß.
Ich zog den Ring vom Finger, hielt meine Geldbörse umklammert, packte meinen Helm fester und marschierte hinein. Drinnen war es dunkel, aber nicht ungemütlich. Ein Kohlenfeuer flackerte, und der Schein der Laternen spiegelte sich auf Gläsern, Krügen und Messinggeräten, tauchte die Gesichter der Kunden in ein warmes Licht. Die Einheimischen saßen in der Nähe des Tresens, fütterten ihre Babies oder spielten Domino. Die Schiffskapitäne dagegen und die Offiziere hatten sich an Tischen in der Nähe der Feuerstelle niedergelassen. Als ich ihnen mein Anliegen erklärte, wollten sie mich zur Fähre schicken. »Aber ich habe kein Geld«, log ich und spürte dabei die harten Kanten der Münzen durch den Stoff von Miss Halshaws Geldbörse in meiner Tasche. Ich sagte ihnen, ich wolle die Passage abarbeiten.
    »Was kannst du denn schon?« fragten sie. Ich merkte, daß sie sich über mein Ansinnen – und meine unmögliche Erscheinung – lustig machten.
    »Ich kann lesen und schreiben«, versicherte ich hartnäckig. Sie kicherten nur. Ich fühlte, wie ich verlegen wurde, und meinte stur: »Und mich um einen Herrn kümmern und alles tun, was er verlangt.«
    Sie lachten laut auf, und einer sagte: »Versprechungen, alles nur Versprechungen.« Ich begriff nicht, was sie an meinen Worten so lustig fanden, und wurde immer verlegener.
    Schließlich hob ein Mann in einer Ecke seine Pfeife und fragte mich nicht einmal unfreundlich: »Könntest du einen Brief für mich schreiben, Mädchen? Einen Brief an meine Missus?«
    Ich bejahte seine Frage und zwängte mich zwischen den breiten Rücken der Männer zu seinem Tisch durch, um allein mit ihm zu reden.
    Er war ein Mann in mittleren Jahren mit roten Haaren. In seinem verschwitzen Gesicht gab es so viele Warzen und Falten wie Löcher in einem Brötchen. »Kannst du ihn auch so richtig liebevoll schreiben, in netten Worten und so?«
    Nette Worte hatte es in meinem kurzen Leben nicht viele gegeben, aber ich war schon zu weit gegangen, um jetzt noch zu zögern. »Aber selbstverständlich, Sir«, tönte ich. »Nichts leichter als das.«
    Der Captain, Mr. Allardyce, bestellte mir ein Frühstück, und ich erzählte ihm beim Essen, daß ich von High Haven hierhergekommen sei, um mein Glück zu machen. Von Konstablern und Schreibern sagte ich ihm aber nichts. Auf dem Weg zu seinem Schiff begegneten wir im Hafen einigen Konstablern, die aber keine Notiz von mir nahmen.
    Wie Mr. Crusoe sollte ich diese Reise bereuen – sicher nicht in diesem Moment, nein. Später weinte ich bittere Tränen und jammerte laut darüber, daß ich nicht Miss Halshaws Anweisungen gefolgt war und die Fähre nach Haven genommen hatte. Aber an jenem Tag im Hafen von Crisium kehrte ich Haven und meinem Vater mit seinem ewigen Nörgeln und seiner Eifersucht für immer den Rücken. Ich richtete mein Augenmerk zur Erde, genauer gesagt – auf London.
     

KAPITEL VI
Ein unauffälliges Gesicht
    Der Attentäter fährt aus seinem Schlaf hoch. Der Gesang eines Mannes, der mit seiner Baßstimme eine Zeile von Verdi rezitiert, hat ihn geweckt.
    »Va, pensiero, sull' ali dorate ...«
    Auf dem Mond mit dem Namen Dread ist es noch nicht Tag. Trotzdem ist der junge Mann der Ansicht, daß er genug geschlafen hat. Er fühlt sich frisch und ausgeruht. Er hat die Nacht in einem Gästezimmer seines Colleges verbracht, dem Altehrwürdigen und Umsichtigen Orden der Attentäter. Er hat allein geschlafen, wie er es immer tut.
    Das Zimmer, in dem er liegt, hat eine hohe Decke und ist ziemlich spartanisch ausgestattet. Das Tageslicht ist schon ausreichend, um zu erkennen, daß der Putz auf der Wand unterhalb der tiefbraunen Holzdecke – aus Eiche von der Erde, zu deren Besuch der junge Mann noch nie Gelegenheit hatte – einfach übertüncht ist. An einer Wand hängt ein schmales Kruzifix aus schwarzem Holz, an einer

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