Sophies Kurs
einen Latz um den Hals und kippt den Sessel nach hinten. Im nächsten Moment liegt das ausgewählte Gesicht auf dem des Jungen, naß und unbeweglich. Der Futterstoff und Kleber, ein außerirdischer, schleimiger Humus von irgendwo hinter Beteigeuse, braucht einen Moment oder zwei, um sich zu erwärmen. Er ist kalt und glitschig wie eine Kaulquappe und beißt immer noch ein wenig, obwohl der Tee, den der Junge getrunken hat, den schlimmsten Schmerz verhindert. Die Prozedur ist dem Jungen nicht unangenehm. Er hat gelernt, sie zu genießen. Seit seiner Kindheit hat er mehr Gesichter getragen als er zählen kann.
Wieder fragt er nach den Wetteraussichten. »Die Tide wird sehr stark sein«, erklärt Federico und verfällt dann in Schweigen. Er streicht die Maske in die richtige Lage und glättet den Kleber mit einer Bürste, die er in Weingeist getaucht hat. Der junge Mann liegt zurückgelehnt in seinem Stuhl und denkt mit geschlossenen Augen an seinen neuen Herrn, den Mann, der ihm nun Befehle erteilt und ihn bei sich aufnimmt. Er kennt ihn gut. Es ist der Mann, der schon seinen Vater einstellte. Während sein neues Gesicht sich anpaßt, sich in die Nasenlöcher kuschelt und sich feucht um die Lippen schmiegt, stellt er sich seinen Herrn in bestimmten charakteristischen Posen vor: sitzend, in vollem Ornat, bei einem Staatsempfang; mit der Spitze eines Dolchs einen Skorpion ärgernd; sich mit einem Schwenker voll Portwein vor dem Kamin seines heißen, abgeschiedenen Herrenhauses ausstreckend. In seiner Jugendlichkeit gestattet der Junge sich einen Augenblick des Zauderns, zu dem Mann zu gehen und ihm zu dienen.
Die Zeiten sind nicht mehr so wie früher, sie haben sich geändert. Der Posten eines Faktotums ist heute lange nicht mehr so begehrt, wie das einmal der Fall war. Die hohen Herren haben eine andere Einstellung zum Gesetz als früher in den wilden Tagen des letzen Jahrhunderts, und obwohl sie die Dienstbarkeit anderer immer noch in Anspruch nehmen, geben sie ihnen keinen richtigen Einstellungsvertrag, wollen sie andererseits aber auch nicht ziehen lassen. Man darf sich für sie auf irgendeinem gottvergessenen Asteroiden die Hacken ablaufen, ohne jedes Gehalt, ohne irgendwelche Freiheiten. Die Karrieren von bedeutenden Praktizierenden sind auf diese Weise im Sand verlaufen, bis sie nur noch Dekoration waren wie ein Ständer mit Schwertern, den man im Speisezimmer aufhängt.
Der junge Mann würde als Freiberufler viel weiter kommen. Aber da gibt es einen Platz für ihn – und eine Familientradition, die es zu erhalten gilt. Ganz eindeutig hat es auch seine Vorteile, in den Dienst eines Herrn zu treten. Es wird sicher schön sein, nie frieren oder hungern zu müssen. Der junge Mann ist sich völlig sicher, daß sein neuer Herr genügend Arbeit für ihn haben wird. Sein Vater jedenfalls war bis zu seinem Todestag immer sehr beschäftigt.
Das soll jedoch nicht heißen, daß diese kräftigen jungen Arme ständig in Blut getaucht sein werden, wie uns das die Illustrierten immer einreden wollen. Die meiste Zeit verbringt ein Praktizierender damit, sich über sein Zielsubjekt zu informieren, es zu studieren und zu observieren. Er muß die Person genau kennen, ehe er sie töten kann. Er muß dabei höchst umsichtig und völlig unauffällig vorgehen. Er muß versuchen, unsichtbar zu bleiben. Es darf nie ein Relikt geben, es sei denn, die Kommission verlangt eins.
»Das wär's, Sir.« Federico reibt den jungen Mann mit einem Handtuch trocken und befreit ihn von dem Latz. Der Junge berührt sein neues Gesicht. Es fühlt sich mehr oder weniger an wie sein eigenes, obwohl die Wange, auf der sein Finger entlanggleitet, taub ist. Aber schon bald wird der Kleber antrocknen, und das nichtmenschliche Protoplasma wird sich eng an seine eigene Haut anbinden. Er wird vergessen, daß er es trägt; und niemand wird mehr in der Lage sein zu erkennen, daß er eine Maske anschaut.
Der Junge dankt Federico und gibt ihm ein großzügiges Trinkgeld von zehn Soldi. Dann begibt er sich durch die Halle zur Garderobe. Der Diener verbeugt sich tief vor ihm und reicht ihm den Umhang und den Helm, auf den er zeigt. »Angenehme Reise, Signore«, sagt der alte Mann. Der junge Attentäter gibt keine Antwort. Er zieht die Handschuhe über, die seine Hände wie eine zweite Haut umspannen.
Einen Moment lang schaut er durch das Bleiglasfenster über die zernarbte Ebene auf den riesigen rosafarbenen Klecks des Mars, der nun am Horizont in den Himmel
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