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Sophies Kurs

Titel: Sophies Kurs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
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den Schiffen ausfindig machen können. Ich sah einen riesigen aufgebockten Windjammer, das Heck in einem hohen Gerüstkorsett. Der Captain zeigte mir zwei große Dampfschlepper, die irgendwann nötig sein würden, um das Hinterteil des Schiffes in die Richtung zu drehen, in die es gehörte. Weiter in der Ferne, fast hinter den Dächern der Hangars verschwindend, standen Gasbehälter, die aussahen wie Gewürzständer aus grauem Eisen. Wenig später trieben wir einen Schwarm Möwen auseinander, der uns umkreiste, während auf dem Boden drei junge Männer in blauen Uniformen auf uns zuliefen und dabei eine hölzerne Treppe auf Rädern vor sich herschoben.
    Obwohl die Sonne sich hinter Wolken verbarg, war es mir noch nie so warm gewesen. Der Lärm machte mich taub, ich ertrank fast darin. Laute Rufe und gellende Pfiffe, das Kreischen geschundenen Metalls, das ohrenbetäubende Zischen einer Eisenbahnlokomotive und das Hämmern einer unsichtbaren Dampframme, die die Kellergewölbe dieses Palastes gnadenlos ohne Pause erzittern ließ.
    Ich konnte meine eigenen Gedanken nicht mehr hören, wußte nicht mehr, wohin ich zuerst schauen sollte. Unter dem gewölbten Glasdach bildeten die schwarzen Träger und Stützbrücken ein Webmuster ähnlich dem Netz einer gigantischen Spinne: ein Gewirr von dunklen Schatten, uneinsehbaren Nischen und verborgenen Abgründen. Aber dann fiel aus einer unsichtbaren Lichtquelle, die nicht gänzlich vom Ruß und Staub verschluckt wurde, ein Sonnenstrahl durch das Glas auf ein Metallgestell unterhalb einer Abschußrampe und ließ ihr Gerippe und die Davits in leuchtendem Violett aufschimmern. Selbst die Messingplatte mit dem Namen des Herstellers glänzte unter der Politur. Möwen flatterten aus der Dunkelheit ins Sonnenlicht und quer über das Landefeld, um sich auf den Simsen einer hohen Backsteinmauer niederzulassen, deren Front von zahllosen Fenstern durchbrochen war. Die kleinen, gewölbten Fenster waren in zweifarbigen Ziegelsteinen ausgelegt. Darüber quollen hinter einer Brüstung rote Blumen und dichte Efeuflechten aus großen Zierkübeln. Unten vor dem Gebäude hockten hungernde Gassenkinder auf dem Pflaster.
    Eine Gruppe von Passagieren warteten auf einen Ballon. Die Vornehmen saßen auf Stühlen, Diener hielten Sonnenschirme. Unter ihnen war ein großer Afrikaner in weißem Umhang mit dem Auftreten eines Prinzen und einer ganzen Schar Fauns und Riesen um sich herum: Sicher von Hrad, dachte ich, verlor die Gruppe in der Menge aber rasch aus den Augen. Ich sah Familien, die ihren gesamten Hausrat auf einer Karre festgezurrt hatten, um sich nach den Kolonien einzuschiffen. Sie wirkten ängstlich und müde, hatten offenbar Probleme mit einem Mann, der Messingknöpfe an der Uniform trug und mit Schreibzeug und Stechzirkel, Listen und Stapeln offiziell aussehender Papiere unter ihnen herumlief. Träger und Kondukteure eilten geschäftig umher, und ich entdeckte auch einen Gaukler mit seiner Blechkarre. Ich sah, wie eine Lady und ein Gentleman sich von ihrem Sohn verabschiedeten, der kerzengerade und blaß im Gesicht in einer steifen, neuen Khakiuniform vor ihnen stand. Neben ihm weinte ein Mädchen leise in ein winziges Taschentuch. Eine alte Hausdame versuchte sie zu beruhigen. Wahrscheinlich seine Verlobte. Sie sah nicht älter aus als ich.
    Der Captain schlenderte durch die Halle, und ich schlurfte hinter ihm her, schwerer als je zuvor in meinem Leben. Ein Posten salutierte und öffnete vor uns ein Eisentor. Captain Allardyce führte mich geradewegs hinaus in die große Vorhalle mit dem blauen Mosaik und den geschwungenen Goldlettern, die das Wort ANKUNFT bildeten, hinaus unter den gelblich-grauen Himmel, der nun einen Riß in sonnenerhelltem Blau zeigte. Mir war fürchterlich heiß in meinem Raummantel, ich schnaufte heftig, und das wenige Gepäck wog in meinen Händen schwerer als Blei. Der Geruch nach Malzessig und heißem Gummi, nach Schweiß und Dung und Rauch stach mir in die Nase.
    Mehr Leute, als ich in meinem ganzen Leben gesehen hatte, gingen, liefen und ritten die Spaniards Road entlang. Männer, Frauen und Kinder jeder Coleur und Art drängten Schulter an Schulter die Gehsteige entlang. Der Lärm wurde noch schlimmer. Die Rufe der Verkäufer von heißen Kartoffeln und süßem Rosmarin vermischten sich mit dem Geschrei von Zeitungsjungen und plärrenden Säuglingen. Die Hitze hatte den Schlamm trocknen und verkrusten lassen, doch in den Schatten der aufragenden Häuser war er

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