Sophies Kurs
interessieren? Entweder gehören Sie dazu, und dann wissen Sie ohnehin mehr davon, als Ihnen lieb ist –oder Sie stehen darüber und wollen nichts davon hören.
Wir überquerten den vielbefahrenen Fluß auf der Waterloo-Brücke und gingen durch verschiedene Gassen zum Logis des Captains im Haus von Mrs. Rodney auf dem Lambeth Walk in der Nähe des Marktes. Müde und verwirrt stand ich in einer dunklen Küche und starrte auf die Bodenfliesen. Eine große, muskulöse Frau in einer Schürze forderte mich auf, meine Sachen abzustellen und mich zu ihr und dem Captain an den Tisch zu setzen. Sie reichte mir eine Tasse Tee und rief einem gewissen Johnny durch die geöffnete Küchentür zu, beim Buchmacher Tinte und Papier zu holen.
»Armes Ding«, meinte sie, nachdem der Captain ihr von mir erzählt hatte, und strich mir über das Haar. Erschrocken fuhr ich zurück und beobachtete sie so wachsam wie Percy jeden Jungen mit einem Stock. Doch sie lächelte nur und sagte: »Trink deinen Tee.« Sie hatte eine grobe Stimme, und ihr Gesicht war so rot und rauh wie eine nackte Steinwand. Aber sie lächelte.
Erfrischt durch den teerfarbenen, mit Sirup gesüßten Tee, schrieb ich einen weiteren Brief für den Captain. Ich schrieb ihn sehr sorgfältig. Der Captain lebte im britischen Viertel von Ys. Seine Frau sei eine Marsianerin, sagte er. Ihr Name war Amreeh. Sie arbeitete in der Leichenhalle, wo sie Tinkturen für die
Minister des Verfalls
mischte.
Er schrieb ihr, daß wir mit der Ladung sicher die Erde erreicht hatten, und nannte den Preis, den er dafür erwartete. Dann kratzte er sich am Kopf, zog die Augenbrauen hoch und zermarterte sich eine Zeitlang das Gehirn. Schließlich sagte er mir, ich solle schreiben, daß es ihm gut ginge und er das gleiche von ihr hoffe. Weiter diktierte er: »›London ist heiß und scheußlich. Ich wünschte, ich könnte jetzt bei dir sein, meine Liebe, aber das ist, wie du weißt, für längere Zeit leider nicht möglich.‹ Und an dieser Stelle, Sophie-Mädchen, kannst du zum Ende kommen und noch hinzufügen: ›Meine besten Wünsche auch an Deine Eltern und Deine Schwestern.«
Obwohl mir diese Arbeit, die ich für ihn leistete, sehr zusagte, mußte ich mir trotzdem manchmal Worte ausdenken, um den Sinn richtig zu treffen. Diesmal schlug ich ihm vor, daß ich ›In Gedanken immer bei Euch‹ besser fände als die ›Besten Wünsche‹, was er hocherfreut akzeptierte. Er trug mir auf, den Brief mit ›Möge der Kaiser ewig leben‹ zu beenden. »Du mußt das dorthin schreiben«, zeigte er mir die Stelle und nickte.
Ich fragte mich, wie es wohl sein mochte, verheiratet zu sein, war sicher, daß es schrecklich sein müsse, jemand zu haben, der dich immer beobachtete und in deinem Bett schlief. Aber was war, wenn man getrennt war wie Captain Allardyce und Mrs. Allardyce? Es schien ihn nicht sonderlich glücklich zu machen. Ich warf einen Blick zu Mrs. Rodney hinüber, die aufgestanden war und in einer Schüssel Kartoffeln schälte. Ich fragte mich, was ich von ihr zu halten hatte, und wie wohl Mr. Rodney sein würde. Dann erfuhr ich, daß ich das Bett mit ihrer Tochter Gertie teilen mußte, was ich beinahe so schlimm empfand wie verheiratet zu sein.
Gertie hatte das Gesicht einer Bulldogge und war über dieses Arrangement ebenso wenig erfreut wie ich. »Sie haben mich gefragt, und ich habe nein gesagt. Aber jetzt bist du nun mal da«, meinte sie, als sie mich in das kleine Zimmer unter dem Dach hinaufführte. »Das hier ist
mein
Kissen. Alles auf dieser Seite des Zimmers gehört mir, verstanden?«
Ich stand im Türrahmen, vom Treppensteigen noch ganz außer Atem. »Ja, ja. Ich bleibe nicht lange«, sagte ich keuchend. »Nur ein paar Tage.«
»Schön.« Gertie war zwar anderthalb Jahre jünger als ich, doch neben ihr kam ich mir vor wie ein kleines Kind. Sie stemmte die Hände in die Hüften und schenkte mir einen mißtrauischen Blick.
»Kost und Logis sind ohnehin immer für eine Woche im voraus zu bezahlen.«
Ich nickte beiläufig, als träfe ich immer solche Vereinbarungen, und ging wieder nach unten. Ich war völlig erschöpft und hatte kein Geld außer dem in Miss Halshaws Geldbörse. Jetzt war leider der Zeitpunkt gekommen, an dem ich mich davon trennen mußte, und das bedauerte ich sehr. Zuhause bei Papa hatte ich früh gelernt, an jedem Penny, der hereinkam, zu kleben. Mir erschien jede Arbeit, die ich verrichten konnte, recht, um mein Geld zu sparen. Mrs. Rodney nahm offenbar an
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