Sophies Kurs
gepuderte Perücke und weiße Strümpfe. Verächtlich musterte er meine schäbigen Kleider, die auseinanderfallenden Schuhe, und befahl mir zu verschwinden.
»Ich habe eine eilige Nachricht für Mr. Cox«, sagte ich rasch. Es war das einzige, das mir im Moment einfiel. Schnaufend erklärte er mir, daß Mr. Cox auf dem Weg nach Io sei und nicht in nächster Zeit zurückerwartet werde. Als ich ihm meine Nachricht nicht anvertrauen wollte, schlug er mir die Tür vor der Nase zu.
»Das war schon gut so«, tröstete mich Mr. Rodney beim Tee. »Man kann nicht einfach so einen Gentleman wie Mr. Cox besuchen, Sophie«, sagte er mir in einem Ton, als sei dies ein Naturgesetz. »Du solltest dir langsam etwas gesunden Menschenverstand zulegen, Mädchen.« Mit einer Handbewegung unterband er meine Rechtfertigungen und Fragen. Mit der Gabel zeigte er in Richtung Kensington. »Du solltest ihm einen Brief schreiben. Das solltest du tun.«
»Und nur zu diesem Zweck haben sie dir die Adresse besorgt, du dummes Kind«, rief Mrs. Rodney voller Furcht vor den Konsequenzen, die der Mißbrauch einer solch privilegierten Information nach sich ziehen mochte.
Ein Brief an Mr. Cox. Das war die Lösung. Was aber nicht hieß, daß ich den Brief schreiben konnte. Was sollte ich ihm darin mitteilen? »Ich werde ihm erzählen, daß Papa mich geschickt hat«, sagte ich zögernd.
»Das wirst du auf keinen Fall tun – ihn auch noch anschwindeln. Und was kommt als nächstes?« schalt mich Mrs. Rodney.
»Sie erzählt doch immer Lügenmärchen, Ma«, rief Gerti dazwischen.
»Du hältst den Mund, Mädchen«, wies ihr Vater sie zurecht. »Versichere ihn deiner Hochachtung, Sophie, entschuldige dich, daß du ihn belästigt hast, und laß ihn wissen, daß du sehr erfreut und glücklich sein würdest, wenn er dir einen Hinweis geben könnte, wo deine Mutter jetzt lebt.«
»Schreib ihm, daß du ihm sehr dankbar wärst«, versuchte Mrs. Rodney ihren Mann noch zu übertrumpfen. Doch als ich aufstand, hob sie sofort ihre Stimme. »Wo willst du hin? Es muß noch Wasser geholt werden, und dann liegt da noch jede Menge Wäsche zum Waschen.«
»Schreib den Brief heute abend und schau dann morgen früh noch mal drüber«, schlug Mr. Rodney vor. »Nur um ganz sicher zu sein, daß du auch keine Fehler gemacht hast.«
Wenn ich die ganze Sache schon vorher als ziemlich schwierig betrachtet hatte, so wurde sie jetzt durch ihre Ratschläge ganz unmöglich. Bestimmt ein dutzendmal setzte ich an, nur um das Papier mit durchgestrichenen Worten zu füllen, weil ich an Mr. Cox' furchterregendes Gesicht dachte und mir nicht schlüssig darüber werden konnte, wie ich mich ausdrücken sollte. Schließlich verschob ich die ganze Sache auf später.
Selbst Gertie war von meiner Unverfrorenheit, einen Lakai anzusprechen, beeindruckt. »Hattest du denn keine Angst, Sophie?« fragte sie mich an jenem Abend im Bett. Natürlich hatte ich mich gefürchtet. Ich hatte Angst vor ihm und noch mehr vor seinem Herrn, der mich angewiesen hatte, ihn nicht mehr zu behelligen. Wirklich, ich hatte Angst – aber Angst war für mich ganz normal, denn meine ganze Kindheit über hatte ich im Zustand konstanter Furcht verbracht. Und wohin hatte mich das geführt? – Ganz eindeutig zum Lambeth Walk – »genau gegenüber dem Sitz des Erzbischofs«, wie Mr. Rodney sich gern ausdrückte. Es schien kein Entrinnen zu geben. Ich, der ich mich selbst für einen großen Entdecker gehalten hatte, war nur von einem Käfig in den nächsten gestolpert. Aber zumindest war dieser Käfig warm, in ihm wurde gelacht und manchmal gesungen. Und obwohl ich traurig war, daß es auch in London Town Hausarbeit zu verrichten gab, mußte ich doch sehr achtgeben, daß Gertie mir nicht immer die schlimmsten Arbeiten überließ.
Zuerst waren sie sehr froh, mich in der Küche zu haben, denn Gertie war keine Hilfe. Sie machte alles oberflächlich und verdarb es dadurch. Dabei wurde sie nur noch mißmutiger und launischer. Mrs. Rodney war erfreut, daß ich eine Suppenkelle von einem Kupferspieß unterscheiden konnte. Sie besaß schon ein Schälmesser, und so sagte ich ihr nichts von Mr. Bleens Messer. Ich ließ mir von ihr meine Ärmel hochrollen und – zum ersten Mal in meinem Leben – eine Schürze umbinden. Aber sie fand ziemlich rasch heraus, daß ich trotz all meiner Erfahrung kein bißchen Übung hatte und meine Art zu kochen ausschließlich Papas und meine Erfindung war.
»Wer hat dich so etwas gelehrt?« rief
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