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Sophies Kurs

Titel: Sophies Kurs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
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sich auf die Stuhllehnen und johlen und pfeifen solange, bis einer von ihnen herunterfällt und sich den Kopf an den Feuereisen stößt.
    Mr. Strake schrieb sein Buch, ehe der marsianische Orient erschlossen wurde und der Planet noch den Schürfern und den Mitgliedern des
Leuchtenden Bogens
mit ihren Rosenkränzen gehörte. Am Lambeth und auf High Haven glaubt man, das sei auch heute noch so. Außer Kappi natürlich. Ich erinnere mich, daß Kappi ganz aufgeregt reagierte, als ich ihn einmal danach fragte. »Verrückt, einen Engel vom Himmel zu nehmen!« pfiff er und verfärbte sich weiß vor Ekel und Abscheu. »Sehr böse, ihm seine Flügel zu stutzen und ihn untertage zu schicken.«
    Die Crew kannte Mr. Crii schon länger, und jeder war sehr wachsam. Engel, sagten die Männer, bedeuteten immer Ärger, obwohl Jack Pace behauptete, er kenne einen Matrosen, der einen Engel zur Geliebten hatte und sie in einer Höhle hielt. Die Mannschaft gluckste und kicherte und stieß sich gegenseitig mit den Ellbogen – wie der kleine Bennie Stropes und seine Kumpane.
    »Welch beneidenswertes Arschloch!« riefen sie im Chor. Frauen dagegen, die sich mit Engelmännern einließen, wurden verachtet. Ich fragte mich ohnehin, wie eine Frau so etwas tun konnte. Beauregard Crii ließ mein Herz jedenfalls nicht schneller schlagen. Im Gegenteil, es wäre schon bei seinem Anblick am liebsten stehengeblieben.
    Jetzt sah ich ihn zum ersten Mal richtig – in seiner ganzen Pracht, hätte ich beinahe gesagt. Ich sah ihn jedenfalls zum ersten Mal im Dienst auf der Brücke der
Unco Stratagem.
    Das Schiff bewegte sich nur langsam mit gefierten Segeln und schwamm behutsam durch das ewige Dunkel. Mr. Simmonds stand nun am Ruder, und Mr. Lismoyle hatte den Captain abgelöst.
    »Sseyez. Setz dich«,
sagte Mr. Crii zu mir. Er befahl mir, mich auf das Deck zu setzen, während er sich in der gleichen Haltung wie zuvor dicht vor mir hinkauerte. Von dort aus konnte er nicht sehen, wohin wir segelten, aber das schien nicht wichtig zu sein.
    »Ben«, rief Mr. Lismoyle und streckte mir den goldenen Reif entgegen.
    »Non«,
pfiff Mr. Crii und starrte weiterhin in mein Gesicht. Er sah aus wie ein Schwan, der etwas bewacht. Ich war davon überzeugt, daß er sofort auf mich zufliegen würde, wenn ich etwas Falsches tat.
»Lismo-oyle!«
    »Sir«, antwortete Lismoyle, der es schon haßte, sich ihm fügen zu müssen, und noch weniger erfreut war, daß seine Anweisungen widerrufen wurden. Er brachte den Reif, den er vorsichtig in beiden Händen trug, selbst und setzte ihn sorgfältig auf den Kopf von Mr. Crii.
    Der Engel nahm seine Augen nicht einen Moment von mir, doch ich konnte erkennen, daß sein Blick nach innen gerichtet war. Mr. Crii hatte sich in den Flux hinausbegeben, wohin gewöhnliche Leute nie gelangten. Der goldene Reif um seinen Kopf zog die Vorhänge seines Geistes beiseite und ließ ihn die Aether-Gezeiten schauen, die weit vor uns rollten und sprudelten, wo wir anderen nichts als fliegende Felsbrocken und Schwärze sahen.
    Mr. Lismoyle strich sich über den Schnurrbart. »Was willst du hier, Junge?«
    »Ich weiß es nicht, Sir. Er hat mir befohlen mitzukommen. Mr. Crii hier, Sir.«
    Plötzlich atmete Mr. Crii tief durch. Die Sehnen an seinem Hals schwollen zu dicken Strängen an, und er schüttelte den Kopf wie ein Schwimmer, der von einem Tauchgang an die Oberfläche kommt. Seine Augen waren immer noch weit geöffnet und noch immer starr auf mich gerichtet.
    Mr. Lismoyle stand dicht neben mir und beobachtete Mr. Crii. Er wartete auf seine Anweisungen. »Kurs beibehalten, Mr. Simmonds«, meinte er.
    »Ich dachte schon, er wolle mich fressen, als ich die Tür öffnete, Sir«, berichtete ich ihm.
    Mr. Lismoyle nickte. »Er könnte dir deinen Kopf mit einem Biß abreißen, Ben.«
    Wir waren den ganzen Weg zum St.-Agnes-Feuer hochgedriftet und standen fast darüber, ehe Mr. Crii etwas sagte.
    »Ruder leewärts.«
    »Ruder leewärts«, rief Mr. Lismoyle erleichtert, und Mr. Simmonds drehte das Rad. Durch die Glaskanzel sah ich, wie die schattigen Segel anschwollen und das Licht einfingen.
    Als das Schiff drehte, begann ich plötzlich zu zittern und fühlte, wie mir der Schweiß ausbrach, obwohl es auf der Brücke wie immer kalt war. Seltsame Empfindungen durchströmten mich, als wäre ich einen Moment lang eingenickt und hätte meinen Kopf in einen Brunnen voller Träume gesteckt. Stimmte etwas nicht mit unserem Piloten?
    »Sir?« rief ich alarmiert.

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