Sorge dich nicht - lebe
Millionen Arbeitslosen überschwemmt war. Ich befolgte also Lawrences Vorschlag: Ich fuhr nach Afrika zu den Arabern. Ich bin froh darüber. Von ihnen lernte ich, mit meinen Ängsten fertig zu werden. Wie alle gläubigen Moslems sind sie Fatalisten. Sie glauben, dass jedes Wort, das Mohammed im Koran schrieb, eine göttliche Eingebung, eine Eingebung von Allah ist. Wenn also der Koran sagt: «Gott erschuf dich und alle deine Handlungen», dann nehmen sie es wörtlich. Deshalb nehmen sie das Leben so gelassen und haben es nie eilig und regen sich nicht unnötig auf, wenn irgendwelche Dinge schief gehen. Sie wissen, was bestimmt ist, das ist bestimmt, und nur Gott kann es ändern, sonst niemand. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie sich angesichts drohender Schwierigkeiten einfach hinsetzen und nichts tun. Als Beispiel möchte ich Ihnen von einem heftigen, beißenden Schirokko erzählen, den ich während meiner Zeit in der Sahara miterlebte. Er heulte und stöhnte drei Tage und drei Nächte. Er war so heftig, so kräftig, dass er den Sand aus der Sahara Hunderte von Kilometern über das Mittelmeer trieb, bis zum Rhonetal in Frankreich. Der Wind war so heiß, dass ich das Gefühl hatte, mir würden die Haare versengt. Meine Kehle fühlte sich wie Pergamentpapier an. Meine Augen brannten, in meinen Zähnen knirschte der Sand. Es war, als stünde man vor dem Ofen einer Glasbläserei. Beinahe hätte ich durchgedreht. Doch die Araber klagten nicht. Sie zuckten mit den Schultern und sagten: « Mektub – das Buch der Vorsehung. Es steht geschrieben … »
Doch kaum war der Sturm vorbei, krempelten sie die Ärmel auf. Sie schlachteten alle Lämmer, weil sie wussten, dass sie ohnedies sterben würden. Sie hofften, sie könnten auf diese Weise die Mutterschafe retten. Nachdem alle Lämmer geschlachtet worden waren, trieben sie die Herden Richtung Süden, zum Wasser. Alles geschah gelassen, ohne Angst, ohne über den Schaden zu jammern oder zu klagen. Der Stammesälteste sagte: «Es war nicht so schlimm. Wir hätten auch alles verlieren können. Aber gelobt sei Gott, wir haben vierzig Prozent unserer Schafe behalten und können neu anfangen.»
Ich erinnere mich an ein anderes Ereignis, als wir durch die Wüste fuhren und ein Reifen platzte. Der Fahrer hatte vergessen, den Reservereifen zu flicken. Es waren also nur noch drei Reifen in Ordnung. Ich schimpfte und ärgerte mich und regte mich auf und fragte die Araber, was wir jetzt tun würden. Sie erinnerten mich daran, dass es nichts nütze, sich aufzuregen, dass man dann nur noch mehr schwitze. Der geplatzte Reifen, sagten sie, sei der Wille Allahs, und man könne nichts dagegen tun. Wir fuhren also weiter und krochen auf drei Reifen und einer Felge dahin. Und prompt stotterte der Motor und blieb stehen. Das Benzin war alle! Der Stammesälteste bemerkte nur: « Mektub. » Und statt den Fahrer zu beschimpfen, weil er nicht genug Benzin mitgenommen hatte, blieben alle wieder völlig gelassen, und wir gingen zu Fuß weiter und sangen dabei sogar noch.
Die sieben bei den Arabern verbrachten Jahre überzeugten mich, dass die Neurotiker, die Verrückten und Alkoholsüchtigen Amerikas und Europas das Produkt eines gehetzten und gestressten Lebens sind, das wir in unserer so genannten Zivilisation führen.
Solange ich in der Sahara lebte, hatte ich keine Sorgen. Dort, in Allahs Garten, fand ich die heitere Zufriedenheit und das körperliche Wohlgefühl, das so viele von uns voll Anspannung und Verzweiflung suchen.
Viele Leute spotten über den Fatalismus. Vielleicht haben sie Recht. Wer weiß es? Doch wir alle müssen zugeben, dass unser Schicksal häufig von außen bestimmt wird. Wenn ich zum Beispiel an jenem heißen Augusttag im Jahr 1919 nicht um drei Minuten nach zwölf Uhr mit Lawrence von Arabien gesprochen hätte, wären alle Jahre danach völlig anders gewesen. Wenn ich jetzt auf mein Leben zurückblicke, erkenne ich, dass es immer wieder von Ereignissen geformt und gesteuert wurde, die außerhalb meines Einflusses lagen. Die Araber sagen dazu mektub, kismet, Allahs Wille. Nennen Sie es, wie Sie wollen. Jedenfalls tut es mit einem die seltsamsten Dinge. Und ich weiß, dass ich mich auch heute noch – siebzehn Jahre nachdem ich die Sahara verließ – gelassen und ergeben ins Unvermeidliche füge, wie ich es von den Arabern lernte. Diese Lebensphilosophie hat mehr zur Besänftigung meiner Nerven beigetragen, als tausend Beruhigungsmittel hätten bewirken können.
Wenn die
Weitere Kostenlose Bücher