Sorge dich nicht - lebe
erhebende Gewissheit, dass er für eine Überzeugung eintreten konnte, die edler und bedeutender war als er, und er nicht einem Menschen glich, wie George Bernard Shaw ihn einmal schilderte: «Ein egozentrischer kleiner Miesling mit Wehwehchen und Beschwerden, der sich darüber beklagt, dass die Welt nicht einzig und allein dazu da ist, ihn glücklich zu machen.»
Die erstaunlichste Erklärung, die ich von einem Psychiater je gelesen habe, stammt aus der Feder des großen Alfred Adler. Er pflegte zu seinen Patienten, die an Melancholie litten, zu sagen: «Sie können in vierzehn Tagen geheilt sein, wenn Sie folgenden Rat beherzigen: Bemühen Sie sich jeden Tag herauszufinden, wie Sie jemand eine Freude machen können.»
Diese Behauptung klingt so unglaublich, dass es wohl besser ist, wenn ich hier zur näheren Erklärung Alfred Adler selbst sprechen lasse:
«Melancholie ist wie ein lang andauernder Zorn und Vorwurf gegen die andern, doch um Fürsorge, Sympathie und Unterstützung zu bekommen, scheint der Patient nur über seine eigene Schuld niedergeschlagen zu sein. Die erste Erinnerung eines Melancholikers ist im Allgemeinen etwa so: ‹Ich erinnere mich, dass ich auf der Couch liegen wollte, aber mein Bruder lag dort schon. Ich weinte so viel, dass er aufstehen musste.›
Melancholiker neigen häufig dazu, durch Selbstmord Rache zu nehmen, und die erste Sorge des Arztes ist es, ihnen dafür keinen Vorwand zu liefern. Ich persönlich versuche, die Spannung durch den Vorschlag zu entladen, dass die erste Vorschrift der Behandlung sein solle: ‹Tun Sie nie etwas, das Sie nicht tun möchten.› Dies scheint eine sehr bescheidene Forderung zu sein, aber ich glaube, dass sie an die Wurzel des Problems rührt. Wenn ein Melancholiker alles tun darf, wozu er Lust hat, wen kann er noch beschuldigen? Wofür muss er sich dann noch rächen? ‹Wenn Sie ins Theater gehen wollen›, sage ich zu ihm, ‹oder gern verreisen möchten, tun Sie es. Wenn Sie plötzlich entdecken, dass es Ihnen doch nicht gefällt, drehen Sie um.› In einer besseren Lage kann man sich gar nicht befinden. Es befriedigt das Bedürfnis nach Überlegenheit. Er ist wie Gott und kann tun, was er will. Andrerseits passt es nicht so einfach zu seiner Lebensart. Er möchte die andern beherrschen und beschuldigen, und wenn sie ihm zustimmen, hat er keine Möglichkeit, sie zu beherrschen. Diese Vorschrift ist eine große Erleichterung, und ich hatte nie einen Selbstmord unter meinen Patienten.
Tun Sie nie etwas, das Sie nicht tun möchten.
Gewöhnlich antwortet der Patient: ‹Aber es gibt nichts, was ich gern tun würde.› Ich bin auf diese Antwort vorbereitet, weil ich sie schon so oft gehört habe. ‹Dann unterlassen Sie es wenigstens, etwas zu tun, das Sie nicht tun wollen›, sage ich. Manchmal antwortet er auch: ‹Ich würde am liebsten den ganzen Tag im Bett bleiben.› Ich weiß, wenn ich es ihm gestatte, hat er keine Lust mehr dazu. Ich weiß, dass er einen Krieg anfängt, wenn ich ihn daran hindere. Ich stimme immer zu.
Dies ist die eine Vorschrift. Eine andere greift ihre Art zu leben noch direkter an. Ich sage zu ihnen: ‹Sie können in vierzehn Tagen geheilt sein, wenn Sie folgenden Rat beherzigen: Bemühen Sie sich jeden Tag herauszufinden, wie Sie jemand eine Freude machen können.› Mal sehen, wie sie darauf reagieren. Sie beschäftigt der Gedanke: Wie kann ich jemand Kummer machen? Die Antworten sind sehr interessant. Einige erklären: ‹Das wird sehr einfach sein. Das habe ich mein ganzes Leben getan.› Dabei stimmt es nicht. Ich bitte sie, darüber nachzudenken. Sie denken nicht darüber nach. ‹Sie können die viele Zeit ausnützen›, sage ich zu ihnen, ‹wenn Sie nicht in der Lage sind zu schlafen, und überlegen, wie Sie jemand eine Freude machen, und es wird für Sie ein großer Schritt auf dem Weg zur Gesundheit sein.› Wenn ich sie am nächsten Tag wiedersehe, frage ich: ‹Haben Sie an das gedacht, was ich Ihnen vorgeschlagen habe?› Sie antworten: ‹Gestern Abend ging ich ins Bett und bin sofort eingeschlafen.› All das muss natürlich in einer rücksichtsvollen, freundlichen Weise geschehen, ohne eine Spur von Überlegenheit.
Andere werden antworten: ‹Ich könnte es nie. Ich mache mir zu viele Sorgen.› Ich sage zu ihnen: ‹Sie können sich ruhig Sorgen machen, aber zwischendurch sollten Sie auch an andere denken.› Ich möchte ihr Interesse immer auf ihre Mitmenschen lenken. Viele sagen: ‹Warum sollte ich
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