»Sorry, wir haben uns verfahren«
der Zahl der Mahlzeiten, die er auf seinem Klapptischchen balanciert hat, der Zahl der Tomatensäfte, die er get runken hat. Und dann ist er da, am Ziel der Reise, kaum dass er in der Heimat abgehoben hat. Er tritt durch die Tür des Flughafens und kann schon in eine fremde Kultur eintauchen.
Doch nicht für jeden Weltenbummler ist dieses Instant-Erlebnis die richtige Reiseform â manche sind mit Vorsatz vor allem per Eisenbahn unterwegs. »Ich liebe die langsame Annäherung an mein Ziel und dass man die VerÂänderungen der VegeÂtation, der Menschen und des Klimas erfährt«, sagt ManÂfred Weis über seine Reisephilosophie. »Das ist Erdkunde, hautnah erlebt.« Der 50-jährige Bahnfan aus Karlsruhe hält seit 25 Jahren den Guinness-Rekord der längsten Interrail-Reise. 36.000 Kilometer innerhalb Europas legte er damals in vier Wochen zurück, inzwischen hat er die halbe Welt auf Gleisen erkundet. So langsam, dass »die Seele mitkommt«, sagt er.
Auch Christoph Kessel aus Mainz nutzt am liebsten öffentliche Verkehrsmittel und hat mit Bus, Bahn und Schiffen innerhalb eines Jahres den Globus umrundet. »Fliegen hat mit dem eigentlichen Reisen nicht mehr viel zu tun«, sagt der 39-Jährige. Im Flugzeug werde man wie im Hollywood-Film von A nach B gebeamt, ohne etwas von den ÂLändern, die man überfliegt, mitzubekommen. »Beim Bahnfahren dagegen erlebt man bei der Ankunft keinen kulturellen Schock.«
Was Slow-Travellern wie Weis und Kessel wichtig ist: Wenn sie in China, Indien oder Pakistan, in Russland, Sudan oder Peru unterwegs sind, dann wollen sie dort die Menschen und ihre Kulturen kennenlernen. Sie wollen nicht nur in BordÂmagazinen von Airlines oder in »Lonely Planet«-Reiseführern blättern, sondern ins Gespräch kommen, sich austauschen.
»Wir fahren nicht in andere Länder, um Gebäude und ÂMonumente zu sehen, sondern Leute«, sagt auch der 30-jähri ge Björn Felber, der mit seiner Freundin Maria Seffar nach dem Studium zu einer Weltreise aufbrach. Im Zug â und vor allem in den günstigsten Klassen â könne man die Menschen in Âihrem Alltag beobachten: »Man sieht, wie sie leben, mit Âihren Familien umgehen«, sagt die 29-jährige Maria Seffar. Man teile sogar eine gewisse Intimität: »Manche essen ihr selbstgekochtes Essen, manche ziehen sich nachts einen Pyjama an, putzen sich die Zähne.«
Die beiden Biologen haben in den 16 Monaten ihrer Reise die Langsamkeit des Bahnfahrens für sich entdeckt und nutzten den Zug, wo es ging â von Russland und China bis Indien und Thailand. Maria Seffar mag die Annäherung an ihre Mitreisenden ohne Hektik: »Am Anfang kennt man sich nicht. Dann sitzt man lange nebeneinander und kommt langsam ins Gespräch«, erzählt sie. »Die Begegnung kann sich allmählich entwickeln, es gibt kein knappes Zeitlimit.«
Extrem viel Zeit hatten Seffar und Felber auf ihrer Fahrt von Moskau nach Irkutsk. »Mit der Transsibirischen Eisenbahn fährt man tagelang, die Sonne geht jeden Morgen auf der gleichen Seite auf«, erzählen die beiden. Stunde um Stunde ratterten sie gen Osten und lernten dabei ihre »Russka Mama« Âkennen, wie sie sie heute nennen.
Die 67-jährige Frau in ihrem Sechserabteil redete am Âersten Tag auf Russisch auf sie ein. Keiner konnte die Sprache des anderen. Sie verständigten sich per auf Zettel gemalte Zeichnungen, zeigten sich Fotos. »Wir haben alles hundertmal wiederholt.« Und am zweiten Tag hat die Kommunikation mit Händen und FüÃen plötzlich funktioniert, sie hatten ihre Âgemeinsame Sprache gefunden. Am Ende wussten die Deutschen, wo sie herkam, wohin sie wollte und wieso. Völkerverständigung auf Schienen â noch heute ist die kleine AbteilÂgemeinschaft in Kontakt.
Eine Party auf Schienen erlebte Christoph Kessel auf einer Fahrt, die ihn vom Pazifik bis zum Atlantik führte. In Kanada saà er auf seiner tagelangen Bahnfahrt von Vancouver bis ÂHalifax im Via-Rail-Zug »Canadian« und vertrieb sich die Zeit im Barwagen. »Mit den Kanadiern kam ich schnell in Kontakt«, erzählt er, in dem Autofahrerland falle man schon auf, wenn man nur mit der Bahn unterwegs sein will. »Irgendjemand holte dann seine Gitarre raus, und schnell bekam das eine Lagerfeueratmosphäre«, erzählt er. »Der ganze Wagen sang âºKnockinâ
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