»Sorry, wir haben uns verfahren«
wichtiger als Geld.« Und wenn man Zeit habe, dann habe man auch die Gelassenheit, Ungewissheiten wie verspätete oder ausfallende Züge auszuhalten â was einen zu Hause schon in die Krise treiben würde. Manfred Weisâ Quintessenz aus Tausenden gefahrenen Schienenkilometern: »Nicht alles minutiös vorplanen.« Damit nehme man sich die SponÂtaneität, auf Begegnungen zu reagieren, auch mal Einladungen anzunehmen. »Man wird auf Bahnreisen immer etwas erleben, das ist sicher.« Das Wichtigste sei: den Moment zu genieÃen.
Einig sind sich die Vielfahrer, dass Bahnreisen langweilig werden, wenn die Züge zu modern sind. Was einen Fortschritt für die Einheimischen bedeutet und mehr Komfort für TourisÂten, ist oft öder für Reisende, die das Abenteuer und den Kontakt suchen. »In den GroÃraumabteilen mit ihren FlugzeugÂsitzen sind Begegnungen seltener geworden«, meint Weis. »Die Hightech-Züge an Chinas Ostküste waren im Vergleich unspektakulär«, sagt Maria Seffar.
Und Kessel konnte sich für ein Bahnerlebnis in Bolivien wenig begeistern: »Der Zug fuhr zum Salzsee Salar de Uyuni durch schöne Landschaften, doch in den klimatisierten Waggons wurde auf Video-Bildschirmen âºMen in Blackâ¹ gezeigt.« Auch waren vor allem Touristen statt Einheimische in dem ÂLuxuszug, dasselbe erlebte er in Peru auf der Strecke nach ÂMachu Picchu. In Indonesien brachten immerhin die fliegenden Märkte Leben in moderne Züge, immer noch stürmten Händler an den Haltestellen die Waggons. Mit Snacks, rosa Kämmen und Toilettenpapier im Angebot.
In Mitteleuropa hat die Eisenbahn für den Ex-Interrailer Weis ihr Flair längst verloren. Nicht nur der Schwund der kleinen Abteile sei schuld und die Schnelligkeit der Verbindungen, auch seien die Zugpassagiere in ICE, IC und TGV kaum mehr ansprechbar: »Jeder hat irgendwas im Ohr, einen Laptop vor sich und ist mit sich beschäftigt.« Definitiv ein Verlust, meint der Vielfahrer. Das direkte Gespräch sei doch Âimmer noch die beste Informationsquelle für Reisetipps, und nicht das Internet auf dem Smartphone.
Viel kommunikativer geht es nach Ansicht der Welten bummler im Osten Europas zu. In Rumänien, Bulgarien und der Slowakei kann man das Abenteuer Bahnfahrt noch erleben. Das Bahnsystem sei noch nicht modernisiert, und man komme leichter ins Gespräch â ein Genuss für Bahnnostalgiker.
Bahnen mit Namen
Die Essbahnen:
Train du Chocolat (Montreux â Broc, Schweiz)
Train Fondue (Montreux â Bulle, Schweiz)
The Fish (Sydney â Lithgow, Australien)
The Chips (Sydney â Mount Victoria, Australien)
Kashtan (russisch für »Kastanie«; Kiew â Berlin)
Peach Queen (»Pfirsichkönigin«; New York â Atlanta, USA)
Die Schnellen:
Aurora Borealis Express (Helsinki â Rovaniemi, Finnland)
Heidi Express (Tirano â Chur, Schweiz)
Lunatic Express (»Verrückten-Express«; Mombasa â Kisu mu, Kenia)
Polar Bear Express (Cochrane â Moosonee, Kanada)
Santa Claus Express (Helsinki â Rovaniemi, Finnland)
Tequila Express (Guadalajara â Amatitán, Mexiko)
Die Romantiker:
Blauer Enzian (Hamburg-Altona â Klagenfurt, Deutschland/Ãsterreich)
Cavalier (Toronto â Montreal, Kanada)
Muthu Kumari (»Prinzessin der Perlen«; Colombo â Puttalam, Sri Lanka)
Rose of Donbas (Donetsk â Moskau, Russland)
Starlight (Los Angeles â San Francisco, USA)
Wiener Walzer (Budapest â Prag, Ungarn/Tschechien)
Die Prominenten:
Casanova (Venedig â Ljubljana, Italien/Slowenien)
Hans Albers (Wien â Hamburg, Ãsterreich/Deutschland)
Hamlet (Hamburg â Kopenhagen, Deutschland/Dänemark)
Picasso (Bilbao â Málaga, Spanien)
Robin Hood (Nottingham â London St. Pancras, England)
Die Fliegenden:
Flamingo (Cincinnati â Jacksonville, USA)
Kranich (Flensburg â Köln, Deutschland)
Pelican (Washington D.C. â New Orleans, USA)
Red Dragon (London Paddington â Carmarthen, England)
Seeadler (Kiel â Köln, Deutschland)
Kapitel 10
Widriges Wetter:
»Aufgrund schlüpfriger Gleise konnten wir nicht halten«
»Alle reden vom Wetter. Wir nicht.« So warb die Deutsche Bahn in den sechziger Jahren. »Die gröÃten Feinde der Bahn? Frühling, Sommer, Herbst und Winter«, so ätzte die Twitter-Gemeinde rund 50 Jahre
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