Sorry
Könnt ihr euch vorstellen, was den Leuten da draußen fehlt?
– Ich weiß, was dir fehlt, sagt Tamara.
– Nein, jetzt mal ernsthaft. Was fehlt den Leuten?
– Welchen Leuten?
– Zum Beispiel diese Busineßtypen. Was ist ihr Manko? – Guter Geschmack?! wirft Wolf ein.
– Verdammt, jetzt nehmt mich mal ernst, Leute. Nur für eine Minute, okay?
– Gut, sag es uns, verlangt Frauke. Was fehlt den Leuten?
Frauke kann das. Sie kann von einem Moment auf den anderen umschalten, während Wolf ein wenig länger braucht. Tamara dagegen reagiert überhaupt nicht. Sie wälzt im Kopf die Erinnerung an die Blumen, die sie bei ihrem letzten Orgasmus gerochen hat, und lacht plötzlich los. Frauke stößt sie an. Tamara hört auf zu lachen. Kris hebt den Zeigefinger, Lehrmeister durch und durch.
– Es gibt eine Sache, sagt er, die die Bosse und Macher vermissen und mit der sie überhaupt nicht klarkommen. Es gibt eine Sache, die wie ein dunkler Schatten über ihrem Leben hängt und ihnen jeden Tag in ihre Latte macchiato pinkelt. Davor schützt sie kein Reichtum, da hilft es auch nicht, wenn sie Spendenaktionen starten oder das Greenpeace-Magazin für ihre Mitarbeiter abonnieren. Diese eine kleine Sache macht ihnen das Leben so was von sauschwer, daß man es an ihren Gesichtern ablesen kann.
Kris sieht einen nach dem anderen an. Es ist offensichtlich, daß keiner von ihnen eine Ahnung hat, wovon er spricht. Also strecktKris ihnen seine rechte Hand entgegen, Handfläche nach oben, wie ein Angebot.
– Sie können sich nicht entschuldigen, sagt er. Und genau das werden wir ihnen anbieten. Entschuldigungen im Überfluß, zu einem verdammt guten Preis.
FRAUKE
Kris erzählt von seinem Vormittag am Urbanhafen und wie er sich bei der Frau entschuldigt hat. Er sagt, er hat genau gewußt, was in ihr vorging.
– Und sie hat mir geglaubt. Sie hat meine Entschuldigung ohne ein Zögern angenommen. Keine Zweifel, nichts.
– Mit mir hättest du das nicht machen können, sagt Frauke.
– Mit mir schon, sagt Tamara.
Sie diskutieren, und eine Idee jagt die nächste. Sie erahnen die Sätze des anderen, sie bewegen sich auf einer Wellenlänge, so daß Frauke das Gefühl nicht los wird, über dem Boden zu schweben.
Es ist das Dope , denkt sie, wir heben einfach nur ein wenig ab, mehr passiert nicht.
Aber es ist weder das Dope noch der Wein. Es ist eine bestimmte Anordnung der Umstände, die bestimmte Menschen zu bestimmten Zeiten zusammenführt. Und für wen das keinen Sinn ergibt, der stand noch nie unter dem Einfluß einer solchen Anordnung.
Um drei Uhr früh steht Wolf auf und verkündet, daß er jetzt ein paar Brote schmieren wird.
– Ich habe einen mordsmäßigen Hunger, ihr nicht?
Sie sehen ihm hinterher, dann prustet Tamara los und sagt: – Der macht jetzt doch nicht wirklich Brote, oder?
– Klar mache ich Brote! kommt es aus der Küche.
Sie lachen, Tränen laufen über ihre Gesichter, sie schnappen nach Luft. Das letzte Mal, daß sie sich so hysterisch aufgeführt haben, war nach der Schule gewesen. Die gesamte Oberstufe fuhr auf den Teufelsberg, um Abschied zu feiern. Kris trug einen Anzug, Frauke und Tamara waren in Kleidern gekommen. Schwarz und weiß. Alle fühlten sich unantastbar, und Frauke erinnert sich noch sehr gut daran, was sie in Tamaras Ohr geflüstert hatte. Ich bin unsterblich, und was ist mit dir ? Tamara hatte gegrinst und gesagt, sie wäre dabei. Natürlich bin ich dabei, glaubst du, ich laß dich hängen?
Sie dachten, ihnen würde die ganze Welt offenstehen. Erst das Studium, dann der große Job, und schließlich würden sie massenweise Geld scheffeln. Besonders über den letzten Punkt waren sie sich einig. In ein paar Jahren wollten sie sich wiedersehen und ihre Erfolge gebührend feiern. Frauke kann bis heute nicht fassen, wie naiv sie damals gewesen sind. Sie sprachen vom Ausland, als würde es direkt vor ihrer Wohnungstür liegen und nur auf sie warten. England, Spanien, Australien, China. Sie wollten überallhin. Wir dachten, uns kann niemand was. Wir dachten, wir können uns alles holen, was es zu holen - - -
– Frauke, bist du noch da?
Tamara schnipst vor ihrem Gesicht herum.
– Wo soll ich sonst sein? fragt Frauke zurück.
Sie hat keine Ahnung, wie lange sie über die Feier auf dem Teufelsberg nachgedacht hat. Niemand lacht mehr. Kris dreht den nächsten Joint, Wolf hantiert noch immer in der Küche herum, und Tamara sitzt mit einem Kugelschreiber in der Hand über einen
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