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Sorry

Titel: Sorry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Drvenkar
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stürmische Engel, die von Licht umflutet sind. Weichfilter und Kitsch. In der gesamten Wohnung riecht es nach Luft erfrischer, alle Vorhänge sind zugezogen, und aus einem winzigen Vogelkäfig schaut ein Wellensittich.
    Die Mutter zupft ihren Rock zurecht, sie kann Wolf nicht in die Augen sehen. Ihr Sohn ist ledig, sechsunddreißig und ein Versager. Sie weiß nicht, was sie falsch gemacht hat. Ihre Hand zittert ein wenig, als sie den Kaffee eingießt. Tassen mit Blumenmuster und Goldrand. Eine der Tassen hat am oberen Rand einen Riß, und in dem Riß ist ein dunkler Lippenstiftrest zu sehen. Wolf ist froh, daß es nicht seine Tasse ist. Ihm wird ein Glas mit Milchpulver zugeschoben. Wolf schiebt das Glas zurück. Endlich beginnt die Mutter zu reden. Ihr Sohn arbeitet jetzt bei Lidl und füllt Regale auf. Er hofft, noch in diesem Jahr an die Kasse zu dürfen. Wolf erfährt hier nichts Neues. Im Wohnzimmer ist kein Foto des Sohnes zu sehen.
    – Das war früher alles anders, sagt seine Mutter und berührt die Glaskanne mit dem Handrücken, um zu schauen, ob der Kaffee auch wirklich heiß genug ist.
    Wolf weiß, wie anders es war. Der Abstieg ihres Sohnes ging rasend schnell. Es gibt ja immer noch Idioten, die denken, sie können im Internet surfen und sich Sexclips herunterladen, ohne daß jemand das mitbekommt. Und dann gibt es Idioten, die sich in der Mittagspause auf die Suche nach Kinderpornographie machen. Die Firma hat Frank Löffler ohne zu zögern gefeuert. Bis September lag sein Monatsgehalt bei 3 377 Euro brutto, eine Woche später räumte er für neun Euro in der Stunde die Regale im Discounter ein.
    – Er arbeitet zwar bis acht, sagt seine Mutter, aber er müßte bald Pause haben.
    An der Tür hält sie Wolf kurz am Arm fest.
    – Zum Glück gab es keinen Skandal. Einen Skandal hätte ich auf keinen Fall überlebt.
     
    Frank Löffler sieht genau so aus, wie man ihn sich vorstellt. Geheimratsecken, Bauch über dem Gürtel und das Haar fettig. Seine Augen stehen nie still, sein Händedruck ist schlaff. Nachdem Wolf sich vorgestellt hat, sagt Löffler, er habe erst in zwanzig Minuten Pause und ob sie sich nicht draußen treffen könnten.
    – Die Filialleitung mag es nicht, wenn wir uns mit den Kunden unterhalten.
    – Ich bin da drüben, sagt Wolf und geht über die Straße in einen Waschsalon. Er hat Waschsalons schon immer gemocht. Sie sind wie Wartehallen für Leute, die nie verreisen. Wolf zieht sich einen Kakao aus dem Automaten. Um ihn herum dreht sich die Wäsche in den Trommeln. Eine Frau schläft auf zwei Stühlen, es sieht unbequem aus. Wolf wünscht sich, er hätte was zu lesen mitgenommen. Er überlegt, wann er das letzte Mal in so einem Laden war. Einmal hat er mit einem Kumpel versucht, einen Münzautomaten im Waschsalon am Kaiserdamm zu knacken. Schraubenzieher und Brecheisen. Sie nach einer Viertelstunde auf, als der Schraubenzieher sich im Metall verklemmte und nicht mehr rausziehen ließ. Sie teilten sich einen Kakao und sind dann abgehauen. Sechzehn Jahre später sitzt Wolf in einem Waschsalon auf einem unbequemen Plastikstuhl und checkt seine Mails über das Handy. Das Leben meint es eindeutig gut mit ihm.
    Frank Löffler ist auf die Minute pünktlich. Er tritt vor den Supermarkt und sieht die Straße rauf und runter, als wüßte er nicht, was er als nächstes tun soll. Wolf kann verstehen, warum ihn die Firma entlassen hat. Frank Löffler ist das geborene Opfer.
    Sie gehen um den Block und kommen an einem Spielplatz vorbei. Die Kinder kreischen und bewerfen einen Hund mit Sand. Löffler versucht, nicht hinzusehen. Er erzählt, er hat Drohbriefe erhalten. Eines Nachts flog ein Stein durch die Windschutzscheibe seinesAutos. Die Nachbarn haben nichts gesehen; sie sagen, das kommt davon.
    – Wir wohnen hier in einem anständigen Viertel, erklärt Löffler, als würde er die Reaktion der Leute verstehen. Es macht die Sache noch schlimmer, weil er unschuldig ist.
    – Ich bin hier, weil Ihre Akte mit diesem Gespräch verschwunden sein wird, sagt Wolf. Sie sind sauber, geläutert oder wie auch immer Sie es nennen wollen.
    Löffler reagiert nicht, wahrscheinlich hat er Wolf nicht verstanden. Wolf hat große Lust, ihn zu schütteln.
    – Der Markt steht Ihnen wieder offen, sagt er stattdessen, als hätte Löffler das letzte Jahr im Gefängnis verbracht.
    Löfflers Blick flackert kurz, die Hände bewegen sich in den Hosentaschen, als wollten sie raus. Wolf wartet, bis er ihn fragt, was denn

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