Soucy, Gaetan
Grimasse.
»Ich fürchte, das ist unmöglich. Die Straße wird vor morgen Nachmittag nicht geräumt sein. Wenn überhaupt.«
Der Offizier hatte aus seinen Erfahrungen als Führungspersönlichkeit den Schluss gezogen, dass man den Menschen stets direkt ins Gesicht sehen solle, was Louis einschüchterte, der es schlecht vertrug, wenn man den Blick auf ihn heftete. Er betrachtete düster den Boden seiner Tasse.
»Aber ich stelle Ihnen mein Zimmer oben zur Verfügung, Monsieur Bapaume. Ich werde mich hier auf einem Feldbett einrichten. Seien Sie unbesorgt, so was kommt öfter vor.«
»Ich kann nicht bis morgen Abend warten. Ich habe mich für morgen Mittag mit den von Crofts verabredet. Ohnehin muss ich am Weihnachtstag wieder in Montréal sein. Ich spiele die Messe.«
Er hatte dies in einem verdrießlichen Ton zu sich selbst gesagt. Es geschah oft, dass er laut sprach, wenn er allein war.
»Sind die von Crofts Freunde von Ihnen? Oder sind Sie verwandt?«
»Nein«, erwiderte Louis.
Dann blickte er, zum ersten Mal seit dem Beginn ihres Gesprächs, den Offizier an. Und sagte mit einer plötzlich gefühlsbeladenen Stimme:
»Eine alte Angelegenheit!«
Er atmete tief ein, wie jemand, der nur mit großer Mühe einen inneren Aufruhr zügelt. Doch verriet er nichts weiter. Seine Augen waren feucht. Er trank die Tasse bis auf den letzten Tropfen aus (seine Finger zitterten leicht). Hurtubise betrachtete ihn ernst und respektvoll. Verlegen stellte Louis Bapaume auf den Beistelltisch Tasse und Untertasse zurück.
»Möchten Sie noch?«
»Nein, vielen Dank, Herr Oberleutnant.«
Der Offizier faltete die Hände, bis auf die beiden Zeigefinger, die er versonnen an die Lippen legte.
»Ich weiß im Augenblick nicht, was wir tun können. Unser Jeep wurde für den Gefreiten einbehalten, ebenso die Hunde, vor Ende der Woche werde ich sie nicht in Anspruch nehmen können.«
Der Fahrer erschien durch die Hintertür, die mit einer Feder ausgestattet war und laut krachend zurück insSchloss fiel. Vor sich hielt er mit ausgestreckten Armen einen Kessel, aus dem dicker, weißer Dampf aufstieg.
»Da ist Chouinard mit der Suppe.«
Chouinard schickte sich an, den Kessel auf den Kacheln vor dem Holzofen abzustellen. Er hatte einen tollpatschigen, watschelnden, komischen Gang, wie eine Holz puppe, die ihre Knie nicht beugen kann. Im Raum schwebte ein Duft von Gerste, Zwiebeln und gekochter Schwarte. Choui nard kam zu ihnen und blieb bei seinem Offizier stehen. »Nichts als Wind zwischen den Ohren«, dachte Louis bewundernd. Zweiundzwanzig Jahre vielleicht? Er wirkte zufrieden. Er diente seinem Oberleutnant.
Der klärte ihn über die Lage auf. Chouinard hörte mit geneigtem Kopf zu. Dann wandte er sich Bapaume zu:
»Wir könnten Maurice fragen.«
»Maurice?«, fragte Louis.
Chouinard richtete sich wieder an seinen Oberleutnant: »Das ist der Sohn der von Crofts. Heute ist es natürlich zu spät. Aber morgen bei Sonnenaufgang könnte er mit den Hunden und seinem Schlitten kommen. Ich kenne sie ein bisschen, die von Crofts. Ich könnte anrufen und fragen. Sie haben Telefon.«
Hurtubise blickte Bapaume fragend an.
»Maurice, sagen Sie?«
»Ja, Monsieur Bapaume. Maurice von Croft. Er ist so um die fünfzehn.«
Louis blieb der Mund offen stehen.
»Und du meinst, er würde kommen?« nahm Hurtubise das Thema wieder auf.
»Ich rufe sofort an, Herr Oberleutnant.«
»Ruf dann auch gleich die Herberge an, um Bescheid zu geben, dass Monsieur heute Abend nicht kommen kann. Ist Ihnen das recht, Monsieur Bapaume?«
Die Aussicht, den Abend mit dem Offizier zu verbringen, mit ihm gemeinsam zu Abend zu essen, die Marter eines Gesprächs über dies und jenes zu erleiden, erregte in Louis Bapaume den Wunsch, sich einen Strick zu nehmen. Seit Stunden schon ersehnte er sich aus tiefer Seele die Anonymität eines Herbergszimmers, um endlich still zu sein, an nichts mehr zu denken als die schwere Prüfung, die ihm am nächsten Tag bevorstand.
Aber hatte er die Wahl?
»Ich bin Ihnen überaus dankbar für Ihre Gastfreundschaft.«
»Prächtig, prächtig! Nun denn, mein guter Chouinard, geh telefonieren. Aber Sie sind sicher ganz ausgehungert, Monsieur Bapaume. Wir haben Käse, wir haben Brot und wir haben ein gutes Süppchen. Was kann man mehr verlangen vom lieben Gott?«
Der Offizier deckte pfeifend den Tisch. Die Wendung der Ereignisse hatte ihn in gute Laune versetzt. »Wir können über Musik reden!«, kündigte er frohgemut an. Ein wenig
Weitere Kostenlose Bücher