Soul Screamers 1 - Mit ganzer Seele
Kummer zerriss mir das Herz. Aber ich konnte nicht einfach gehen. Ich musste es ihr sagen! Ich hatte Heidi sterben lassen, Meredith dagegen konnte ich retten. Wenn ich sie warnte, würde alles wieder gut werden!
Ich öffnete den Mund, brachte jedoch kein Wort heraus. Der Schrei blockierte meine Stimmbänder, begleitet von einem erneuten Panikschub. Und diesmal konnte ich nichts tun, um ihn aufzuhalten. Sprechen war unmöglich, ich konnte nur schreien. Aber das reichte nicht: Ich musste Meredith warnen, und dazu brauchte es Worte, keinen unartikulierten Schrei. Wofür war diese Gabe gut, wenn ich sie nicht nutzen konnte? Wozu dieser sinnlose Schrei?
Ein leises Wimmern drang aus meiner Kehle, so tief, dass meine Lungen zu brennen schienen. Und doch war das Geräusch ganz zart, wie ein Flüstern, das mehr zu spüren als zu hören war. Entsetzt biss ich die Zähne zusammen, und auch Nash riss erschrocken die Augen auf. Im hellen Sonnenlicht schienen sich seine Pupillen zu drehen, wie damals im Taboo .
Mein Blick trübte sich, so als hätte sich ein neblig-grauer Filter über die gesamte Welt gelegt. Das Tageslicht nahm an Intensität ab, die Schatten wurden dichter, die Luft diesig. Ich sah dieeigenen Hände nur noch verschwommen. Die Tische, die Schüler, das gesamte Schulgebäude wirkten mit einem Mal weniger lebendig, so als hätte jemand den Stöpsel aus einem Regenbogen gezogen und alle Farben abgelassen.
Ich sprang auf und presste mit die Hand auf den Mund. Hilfesuchend sah ich den seltsam blass aussehenden Nash an, während der wimmernde Laut sich in meinem Hals nach oben arbeitete. Bis er dort festsaß, wie ein Knurren, ohne Aussicht auf Besserung.
Nash legte mit den Arm um die Taille und bedeutete Emma, mich auf der anderen Seite zu stützen. „Beruhige dich, Kaylee“, flüsterte er in mein Ohr. Sein Atem strich warm über meinen Hals und den Nacken. „Versuch, dich zu entspannen, und hör mir …“
Mir knickten die Beine weg, als mein Blick auf Meredith fiel, die jetzt zwischen Sophie und einer zierlichen Blondine tanzte, die ich vom Sehen kannte.
Nash hob mich hoch und drückte mich fest an seine Brust. Dabei flüsterte er pausenlos Worte in mein Ohr, die mir entfernt bekannt vorkamen. Es war eine Art Reim, der mich tröstete, und den ich beinah körperlich spüren konnte.
Doch der Schrei tobte immer noch in mir, kämpfte darum, sich Gehör zu verschaffen, zur Not mit Gewalt.
Emma führte Nash um die Gebäudeecke, wo man uns vom Innenhof aus nicht sehen konnte. Niemand bemerkte uns, weil alle Blicke auf die Tänzerinnen gerichtet waren.
Nash setzte mich behutsam auf den Boden und nahm mich fest in die Arme, und auch Emma kniete sich zu uns. Ich spürte Nashs warmen Körper, hörte sein Flüstern und das leise Wimmern, das trotz aller Gegenwehr aus meiner Kehle drang.
Ich blickte an Emma vorbei auf die seltsam graue Sporthalle und bemühte mich, etwas zu sagen, ohne zu schreien. Aus den Augenwinkeln sah ich einen Schatten vorbeihuschen, doch er bewegte sich zu schnell. Ich konnte ihn nicht genau erkennen. Die Form erinnerte vage an eine menschliche Gestalt, war aberirgendwie seltsam unproportioniert, fast deformiert. Mit dem nächsten Blinzeln war er verschwunden, und ich war mir nicht sicher, ob ich ihn überhaupt gesehen hatte.
Wahrscheinlich war es nur ein Lehrer gewesen, der durch den grauen Nebel seltsam verzerrt gewirkt hatte. Ich kniff die Augen fest zu, um mich nicht wieder ablenken zu lassen.
Dann, genauso schnell, wie sie gekommen war, ebbte die Panik ab. Die Anspannung fiel von mir ab, und ich fühlte mich mit einem Mal schwach und müde. Als ich die Augen aufschlug, war die Welt wieder bunt und klar. Sogar der Schrei in meinem Hals erstarb – bis er eine Sekunde später die Stille zerriss. Doch er kam nicht von mir.
Er kam aus dem Innenhof.
Auch ohne es zu sehen, wusste ich, was passiert war. Meredith war zusammengebrochen! Mein Schrei war mit ihr gestorben.
Es war wieder passiert! Ich hatte gewusst, dass jemand sterben würde, und nichts getan.
Ich schloss entsetzt die Augen. Trauer und Schuldgefühle stürmten auf mich ein. Es war meine Schuld. Ich hätte sie retten müssen!
Vom Innenhof drangen immer mehr Schreie herüber, und irgendjemand rief nach einem Notarzt. Ich hörte Türen schlagen und Menschen umherlaufen.
Tränen der Scham und der Verzweiflung liefen mir übers Gesicht, und ich presste den Kopf an Nashs Schulter. Ich hätte sie genauso gut gleich selbst töten
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