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Soutines letzte Fahrt: Roman (German Edition)

Soutines letzte Fahrt: Roman (German Edition)

Titel: Soutines letzte Fahrt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dutli
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und Fasern hinein, Schlaufen und zarte Loopings, winzige lila Flüsse, blaue Äderchen, als sei jedes weiße Kleid eine herrliche Haut. Es erinnert ihn sacht an die geliebte Farbe der Milch.
    Der Kragen, die Ärmelaufschläge des Dorftrottels? Der Überwurf des Messdieners, die Arbeitskittel der Zuckerbäcker von Céret und Cagnes, das Festtagskleidchen der kleinen Kommunikantin? Seine Badende Frau, die hochgerafften weißen Unterröcke, die allen Widerschein des Wassers und alle Farben in sich aufgenommen haben? Die bunteste der unbunten Allesfarbe! Gibt es nicht ein Bild von Rembrandt, das er besonders liebt, dem er neidisch nacheifert? Hendrickje, in einem Fluss badend. Eine Frau, die ins Wasser steigt und ihr weißes Kleid hochrafft, ihre Schenkel entblößend.
    Lauter himmlische unreine Rinnsale in der Farbe der Reinheit. Lauter gefeierte Unreinheit der Allesfarbe. Seine dunklen Bilder jubeln insgeheim vom versehrten Weiß.
    Was ist Schwarz? Die Nichtfarbe, dunkelste Farbe, die alle Lichtstrahlen absorbiert, kein Licht reflektiert. Die schwarze, schlingende Nichtfarbe, wo wir hinmüssen. Die Farbe, die im dunklen Magen herrscht.
    Was ist Weiß? Die hellste Farbe, alle sichtbaren Farben, die meisten Lichtstrahlen reflektierend. Die umfassende Farbe, die unbunte Allesfarbe, in der alle andern aufgehoben sind. Die Farbe des Himmels vor dem Blau. Des Himmels, der nur ein großer geblähter weißer Magen ist.
    Doch hier im Hangar? in der Klinik? ist alles anders. Pures blendendes kaltes Weiß ist alles um ihn her, was ihn nur verwundert. Er war hineingeglitten in eine weiße Schuhschachtel.
    BELYJ RAJ! BELYJ RAJ! gellt es in seinen Ohren.
    Er war in ein Zimmer getragen worden, viele Hände griffen unter seinen Körper, hoben ihn von der Bahre hoch und ließen ihn sanft auf ein weißes Klinikbett niederschweben. Er ließ es geschehen und fiel in einen tiefen Schlaf. Die Erinnerung sagt, dass sie kein Schlaf sei, nur eine Vergeltung, eine sanfte Rache.
    Und er sieht jenen Ort am Creuse-Fluss, das Haus, das Zborowski 1926 und 1927 für den Sommer gemietet hat, um seine Maler dorthin zu locken. Der Ort hieß
Le Blanc
. Er staunt über den Namen. Das Weiße ist also ein Ort, es hat sich hierher zurückgezogen. Er fühlt sich jetzt wohl dort, malt in einem Schuppen seine an einer Schnur aufgehängten Fasane, Truthähne, Perlhühner. Paulette Jourdain, Zbos Gehilfin, muss bei den Bauern die schönsten Exemplare auftreiben, sie begleitet ihn auf Märkte und Höfe. Die blauen Federn am Hals versetzen ihn in freudige Erregung.
    Ein außerordentlich schönes Huhn!
    Die Bauern wenden sich ab und wedeln mit der flachen Hand vor den Augen, um den andern Marktverkäufern den Geisteszustand des Kunden mitzuteilen. Der Maler hat nur Augen für das prächtige Huhn mit den bläulichen Federn am Hals.
    Der Ort, der das Weiß in seinem Namen trägt, war für ihn ein Vorgeschmack des Paradieses gewesen. Es war vollgehängt mit toten Fasanen, die er wie besessen auf die Leinwände bannt. Ihren prachtvollen farbigen federnden Tod. Ihren letzten Triumph, ihr tödliches Gefieder, den raschen Aufschein ihrer überwältigenden Farbenpracht.
    Ein Russe, der aus Berlin nach Paris gereist kam, hat ihm in der Rotonde einen Zettel herübergeschoben, als sie ins Gespräch gekommen waren. Eigentlich sprach nur der Russe, Soutine schwieg beharrlich wie immer oder grummelte, murrte und schmatzte seine Einwände aus dem Zigarettenrauch hervor. Der Maler hätte über die Unmöglichkeit der reinen weißen Farbe sprechen wollen. Weiß ist nicht weiß, wollte er sagen, aber er bringt es nicht hervor. Er will kein Weiß je weiß lassen, verstehen Sie? Die Reinheit mit der Unreinheit markieren und besudeln, verlebendigen. Das pure Weiß ist zerstörerisch, es ist lebensfeindlich, es ist das letzte Nichts. Die Schliere ist der Aufstand.
    Der Russe gab nicht nach, er schob ihm das Gedicht über den Cafétisch, Soutine sollte es endlich lesen, um zu begreifen.
    Das Paradies … ein weites leeres … tiefverschneites Land … Phantom eines weißen Himmels … Stille und Weiße … dort überm flaumigen See … süße Kälte atmend … leuchtet die weiße Seele … des jungen Waldes … dort werde ich selig sein … im Funkeln des vereisten Netzes … vorangleiten berauscht … von der ewigen Weiße … und wie ein Pfeil unter den Zweigen hervor … hinausfliegen in den Raum … auf strahlenden leichten Skiern … von weißen Bergen hinunterschweben …
    Der Russe

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