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Soutines letzte Fahrt: Roman (German Edition)

Soutines letzte Fahrt: Roman (German Edition)

Titel: Soutines letzte Fahrt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dutli
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Lästerer des Gottesgesetzes! Ja, auch das. Bei den Eigenen und bei den Fremden ein Fremder. Der erschrockene, misstrauische Gesichtsausdruck, die gequälten, dunklen, brennenden Augen. Immer dabei ertappt zu werden, noch am Leben zu sein. Misstrauisch gegen sich selbst und gegen die eigenen Bilder, die ihn immerzu verraten. Ein Gefangener im Körperkerker, der gegen die Wände schlägt und erst im späten Flug über den Friedhof Montparnasse entlassen wird.
    Niemand kennt den Weg. Keiner wird ihn je erfahren. Niemand kann wissen, wer der Mann im Leichenwagen ist. Es gibt nur die Bilder und nur jene, die er nicht zerfetzt und zu Asche verbrannt hat. Niemand kennt ihn. Den Heißhungrigen, der den andern keinen Krümel lässt. Den Klotz mit den delikaten weißen Fingern, die Spitzen sacht in die Mundwinkel geführt. Den ewig Undankbaren, der alle Freunde zur Verbitterung treibt. Der alles in desolater Unordnung zurücklässt und nicht mehr wiederkommt. Keiner versteht ihn, keiner. Aufrecht stehender Rochen, verirrtes Knorpeltier, toter Fasan, Ochsengerippe!
    Es gibt nur die furchtbare Einzigkeit des Lebens. Aber die Vielzahl der Stimmen, die sich in diesem Bienenstock kreuzen, die Scham der Träume, die unzutreffenden Erinnerungen. Lest das, liebe Söhne! Das Leben ist einzig. Die Hälfte ist erfunden, die andere Hälfte dazugedacht. Die panische Angst, zu fehlen, plötzlich zu verschwinden. Wann wird er mit Doktor Bog Gespräche führen? Wann wird ihm Doktor Livorno das ganze Buch Hiob rezitieren? Wo ist sie hingekommen, die zweimal verkaufte Ikone des Hungers?
    Er ist dem Bienenstock schon entkommen, ist schon in der Cité Falguière, im Atelier mit den zerfetzten Tapeten. Die Wut auf die Wände, auch sie will er aufschlitzen, irgend etwas musste sich doch dahinter verstecken, das letzte Geheimnis der Malerei, das absolute Bild, das sich auch durch Messerklingen nicht mehr zerstören lässt.
    Eine Besucherin erschrickt, als er sich als den Mörder seiner Bilder bezeichnet.
    Alles was ihr hier seht, ist gar nichts wert, es ist nur Dreck, aber es ist immer noch besser als die Bilder von Modigliani, Chagall und Krémègne. Ich werde eines Tages meine Bilder ermorden, aber die sind zu feige, dasselbe zu tun.
    Alles raunt der lebendigen Malerleiche im langsam nach Paris rollenden Citroën ins Ohr:
    Verräter! Schänder deiner eigenen Bilder!
    Der Rebbe und Zbo, die enttäuschten Freunde – alle machen ihm Vorwürfe. Noch nie haben sie einen solchen Hunger gesehen. Und Soutine läuft wütend aus dem Haus.

Das weiße Paradies
    Plötzlich hält der Leichenwagen an. Der Maler schlägt die Augen auf. Trübes Licht, die Vorhänge bewegen sich, da muss ein Luftzug sein. Wo ist Marie-Berthe? Sie hat eben noch mit dem feuchten Tuch seine Stirn gestreift, das Fläschchen mit Sertürners Tinktur geöffnet, ihm ein paar weiche Tropfen auf die Zunge geträufelt, so wie Lannegrace sie angewiesen hat.
    Marie-Berthe ist verschwunden. Er liegt auf der Pritsche noch immer im Leichenwagen. Die beiden Wagenführer sind noch da. Er dreht sich ganz leicht zu ihnen nach vorne um. Jetzt erkennt er, dass es zwei andere sind, die ihn lächelnd ansehen. Wo sind die beiden richtigen, die Bestatter, der jüngere und der rundliche? Sind Sie von der Chewra Kaddischa, gehören Sie zur Bruderschaft? Sie lächeln nur.
    Der Leichenwagen hat angehalten. Sein Ohr lauscht angestrengt auf die Geräusche. Sie sind umstellt. Da draußen rattern Motorräder, Hunde bellen wütend. Haben sie uns aufgespürt, sind wir ihnen auf den verlorenen, winzigen Landstraßen vor die Maschinengewehre gelaufen?
    Die Hintertür wird aufgerissen. Ein schwarzledrig eingepackter Häuptling schaut blitzend und stumm herein, dann schlägt er triumphierend die Tür zu. Der Maler hat, als die Tür aufgeschlagen wurde, in der Mitte eine Gürtelschnalle gesehen. Sie zeigte einen Adler. In einer deutlichen Prägung, von einem metallischen Siegel fixiert: GOTT MIT UNS.
    Er ist es! Wir haben ihn!
    Und ein Geheul geht durchs das Rudel. Ob die Eindringlinge Besatzerdeutsch oder Milizenfranzösisch sprechen, versucht der Leichnam des Malers mühevoll zu verstehen. Er reckt sein Ohr, um ein paar Brocken zu erhaschen, doch da ist nur Gezische und ein kehliges Rollen, krächzendes Stottern und ein Befehlston, Jaulen und Winseln, Gerassel, Geklicke. Es war kein Deutsch, er hatte in Wilna genug davon gehört, um es zu wissen. Waren es
Gitlerowzy
, Darnands Milizen, russische Schwarzhunderter, die

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