Soutines letzte Fahrt: Roman (German Edition)
Blätter, die auf Montparnasse herunterregnen. Soutine bekommt am 4. August 1914 eine Aufenthaltsgenehmigung, am Tag der Kriegserklärung. Sie melden sich, um Schützengräben auszuheben, sie wollen etwas tun für Frankreich, das sie aufgenommen hat. Und werden wegen Schwächlichkeit bald nach Hause geschickt.
Niemand kauft ihre Bilder, jahrelang bleibt es so. Sie sind ein Haufen verwahrloster Russen, Polen, Juden, vor den Pogromen geflohen, von der Malerei besessen gegen das eigene Gesetz, nur vom seligen Boucher vor der Obdachlosigkeit bewahrt. Jetzt im Krieg werden sie noch misstrauischer angeglotzt, wenn sie in den billigen Cafés herumsitzen. Die Unsern sind an der Front, stellen Sie sich vor. Aber das Pack da trinkt seinen Café-crème.
Vor ihren Bildern spucken sie aus. Der Engel Boucher hatte geglaubt, hier werde eine neue Akademie entstehen, aber sie wollen keine idealen Idioten und Salonmaler werden. Boucher lässt sie gewähren, wirbt für sie, wenn man ihre Bilder als ekelhafte furchtbare Schwarten heruntermacht. Sie wollen nur eines: überleben, den Hunger und das Bienenelend aushalten, überstehen. Irgendwann wird der Weg hinausführen aus diesem Dreck, und wenn man es bis zur Cité Falguière geschafft hatte, war die erste Etappe überwunden. Wer kann, verlässt den idealen Bienenstock Hals über Kopf und lässt den seligen Boucher traurig zurück. O Springläuse, wer hat euch erfunden?
Da ist Indenbaum, den alle den guten Samariter nennen. Noch jetzt, im Leichenwagen, sieht Soutine sein vorwurfsvolles Gesicht und hört seine klagende Stimme:
Ich wollte auch Soutine helfen, doch er war unausstehlich. Jedesmal, wenn ich ihm ein Bild abgekauft hatte, wollte er es sich unter irgendeinem Vorwand ausleihen und verkaufte es weiter. Sieben Mal hat er diese Komödie gespielt, und ich ließ mich reinlegen. Eines Nachmittags, in der Rotonde, wollte er unbedingt dreißig Francs von mir. Das war viel Geld für mich in jener Zeit. Ich ließ ihn stehen, doch er lief mir hinterher bis zur
Ruche
, wiederholte als stupide Litanei:
Gib mir dreißig Francs, gib mir dreißig Francs, gib mir dreißig Francs, ja-a-a, ja-a-a, ja-a-a!
Bei der Place de la Convention angekommen, kaufte ich zwei Heringe und sagte zu ihm: Du wirst jetzt eine
Nature morte
malen. Er ging in sein Atelier hinauf und brachte mir zwei Stunden später ein kleines Bild, drei Fische auf einem Teller mit einer Gabel. Den dritten hatte er sich nicht ausgedacht, sondern den zweiten nur umgruppiert. Ich gab ihm dreißig Francs und hängte sein Gemälde mit vier Reißzwecken an die Wand. Drei Tage später bat er mich, ihm das Bild zu leihen. Ich sagte noch einmal: also gut, aber dann fand ich es bei einem russischen Emigranten wieder, einem Photographen. Dieser Schurke legte keine Platte in seinen Apparat, und seine Kunden, die im voraus bezahlt hatten, bekamen ihr Porträt nie zu sehen. Delewski versteckte hinter seinem Rücken ein kleines Gemälde.
Willst du es?
Aber es gehört mir schon.
Ich hatte Soutines Heringe erkannt.
Er hat es mir gerade verkauft, wollte fünf dafür, aber ich habe ihm nur drei Francs gegeben!
Diesmal schwor ich mir, Soutine nie wieder etwas abzukaufen.
Indenbaum geht kopfschüttelnd davon. Aber sie hören nicht mehr auf, die Stimmen, sie dringen in ihn, flüstern, schreien ihm ins Ohr, das nur Sertürners Mohnsaft mit seiner Sanftheit dämpft. Er zieht den Kopf noch tiefer zwischen die Schulterblätter, um die wütenden Stimmen nicht zu hören.
Ein russischer Bauer mit seinem flachen Gesicht! Nur die Nase kommt als fleischiger Würfel aus dem Gesicht hervor mit ihren geblähten Flügeln! Seine Lippenwülste! Der Schaum in den Mundwinkeln! Wenn er einmal lächelt, entblößt er seine abstoßenden, grünlichen Zähne! Rohling! Ungewaschener Tolpatsch ohne alle Manieren! Zerlumpte, wandelnde Palette, immer von Farbspritzern verschmutzt! Seine Singsangstimme ist widerlich! Er scheint immer in die Luft zu gucken, wie Hunde es tun! Schlürft das Wasser mit schmatzenden Geräuschen aus der Flasche! Isst mit den Fingern, zerreißt sein Futter mit den gebleckten Zähnen!
Er will die Hände vor die Ohren schlagen und kann sie nicht bewegen. Von wem immer die Stimmen stammen, die im schwarzen Citroën empört flüstern und wütend schreien, sie beschimpfen ihn, überhäufen ihn mit Vorwürfen:
Unwürdiger Freund! Die Treulosigkeit in Person! Schänder deiner eigenen Bilder! Abtrünniger! Verächter des Malverbots! Stummer
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