Soutines letzte Fahrt: Roman (German Edition)
Stellen zu rätseln. Nach Berlin zu versenden – alle Werke des Juden Soutine? Hat der oberste Kunsträuber plötzlich seinen Geschmack geändert? Mit Verlaub: zweitoberster. Hitler selber hat für seinen Sonderauftrag Linz gewaltige Beschlagnahmungen von Kunstwerken befohlen. Rosenberg kontrolliert die Beute aus den westlichen und östlichen Besatzungsgebieten. Göring aber versucht, durch Zusammenarbeit mit ihm sich ein paar Rosinen herauszuklauben. Denn der passionierte Kunsträuber plant die »Norddeutsche Galerie« in seinem Landsitz Carinhall in der Schorfheide bei Berlin.
Elenis helle, erregte Stimme erklingt im Hörer. Wie hatte sie das Schreiben aus der deutschen Botschaft auffinden können? Welchen Draht hatte sie zu welchen Archiven? Sie will es nicht verraten.
Du hast deine Geheimnisse und ich meine. Aber das Schriftstück liegt vor.
Sie ist den Rätseln auf der Spur, hat ein Puzzlestück zum andern gefügt und ist ungeduldig, den verblüfften Empfänger der Nachricht das Bild endlich sehen zu lassen. Sie ist ihm immer um eine Nasenlänge voraus.
Der Polizeipräfekt Leguay beauftragt also einen Kommissar mit den Ermittlungen und fordert die Einrichtung eines vertraulichen Dossiers über den gesuchten Maler, vielleicht um dem rätselhaften Interesse der Deutschen an Soutine auf die Spur zu kommen. Wieso wollten sie seine Bilder haben? Wozu brauchten sie die?
Nein, keine Gefahr. In der »Norddeutschen Galerie« wird er nicht vorkommen, in Carinhall ist kein Platz für entartete Kunst. Hier werden die Alten Meister hängen.
Er lässt sie hängen?
Eleni lacht auf im Telefonhörer. In Hitlers Linzer Sammlung wohl auch nicht. Keine Geschmacksänderung. Er will tausend Jahre alt werden und von den gleichen Bildern umstellt sein.
Umstellt sein?
Wollen sie die Bilder erst transportieren und dann verbrennen? Dem Maler Konkurrenz machen, dem der Ruf anhängt, er verbrenne seine eigenen Bilder?
Es gibt tatsächlich einen Vermerk auf der Rückseite des Kleinen Mädchens in Blau: ZU VERBRENNEN. Dann der Stempel eines deutschen Museums. Leserlich, unleserlich? Zu verbrennen. Haben die Kunsträuber für einmal denselben Plan wie der Maler? Ich werde eines Tages meine Bilder ermorden … sagte er seiner Besucherin in der Cité Falguière zwischen den Wänden mit den zerschlissenen Tapeten.
Der Reichsmarschall Göring benutzt seine zahlreichen Besuche in Paris, um Kunstwerke zusammenzuraffen. Aber Soutines entartete Gemälde? Kein Bedarf.
Doch, doch, wirft Eleni ein, als Devisenbeschaffungsmaßnahme. Wozu Bilder verbrennen, die auf dem amerikanischen Markt fette Devisen bringen können? Warum verbrennen, wenn die Wehrmacht in Russlands Eingeweide vorrückt und jede Panzerraupe kostbar ist? Mit Barnes’ Sammlung in Merion und der Ausstellung 1935 im
Chicago Arts Club
steigt Soutines Marktwert beständig, verstehst du? Sollen die Amerikaner und seine Glaubensbrüder ihn kaufen und die Ostfront rollen machen. Kunstmarkt ist Kunstmarkt, er floriert in Kriegszeiten. Vergiss nicht, Ende Juli 42, als der Suchbefehl für den Maler ergeht, ist die deutsche 6. Armee im Anmarsch auf Stalingrad. Warum mit wertlosen Gemälden die Luft heizen, wenn sie Artilleriegeschütze befeuern konnten? Heizmaterial – ja. Aber alles für den Krieg. Also nach Berlin mit seinen gepeinigten Leinwänden.
Ich liebte Elenis Stimme, ich hätte ihr stundenlang zuhören können. Lies aus dem Telefonbuch vor, und ich werde deiner Stimme lauschen. Es gibt Stimmen, die deine Gehörknöchelchen verändern. Deinen jubelnden Steigbügel, deinen Amboss, deinen Hammer. Dein Labyrinth, dein sentimentales Gleichgewichtsorgan. Und ihre süße kleine Cochlea. Sie war den Geheimnissen auf der Spur, und ihre dunklen Mittelmeer-Augen hatten Dinge gesehen, die keiner von uns vorausgeahnt hatte. Sie war die Fee der geheimen Archive.
In der milchigen Zukunft werden die unsichtbaren Spürhunde und Besessenen mit ihren Antennen auftauchen und sie werden ihre Einfallsstraßen benutzen, um zur Operation zu fahren. Sie werden höfliche unterwürfige Anfragen an Archive richten, um kleine Auskünfte betteln. Sie träumen davon, sich selber nächtelang in die Archive einsperren zu lassen, in Ausländerbehörden und Polizeipräfekturen, jedes Zettelchen zweimal umzudrehen, Bleistifte und andere selige Schreibwerkzeuge abzunutzen, in Kellern und Aktenverliesen kalten Tee zu schlürfen. Jawohl, es gibt sogar ein Polizeimuseum, das Museum der Pariser Polizeipräfektur,
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