Soutines letzte Fahrt: Roman (German Edition)
murmelt missmutig etwas über die verschwundenen Papiere vor sich hin und blickt dem selbstzufrieden lächelnden Gott in Weiß auf die Ohren.
Sie brauchen Ihre Papiere nicht mehr. Wir haben eine Karteikarte über Sie.
Hinter dem rundlichen Medizinmann steht plötzlich, als der Maler aufblickt, eine schneeweiße Leinwand für lehrreiche medizinische Erklärungen auf weißen metallischen Füßen. Der Maler Sutinchaim überlegt, wie er den weißen Gott auf diese Leinwand gemalt hätte, wie den Mondkopf mit der Glatze und die wulstigen Lippen, und wie die Glupschaugen hinter der übergroßen weißen Brille und das Knäuel der Hände. Er erinnert sich an Fouquets Porträt von Charles VII., das er so oft im Louvre besucht hat, an den Moment, wo er die zusammengerollte Reproduktion dieses Lieblingsbildes als seine Sonntagstrophäe stolz nach Hause trug. So hätte er Doktor Bog gemalt, aber natürlich ganz in Weiß, in nichts als Weiß. Wo sind wir denn hier.
Der Arzt setzt sich auf einen Stuhl und richtet seinen bescheidenen Blick unverwandt auf den Patienten.
Wissen Sie, es gibt hier an diesem Ort keine misslungenen Operationen. Wir haben einen wunderbaren Helfer im Haus. Doktor Kno.
Der Maler zuckt zusammen bei den beiden Anfangskonsonanten, die ihn an irgendeinen Namen erinnern in ihrer schroffen militärischen Einsilbigkeit. Kno. Die unheilvolle Verbindung von K und N und O war ihm schon einmal begegnet. Wo das hätte sein können, fällt ihm nicht mehr ein. Bog und Kno waren also Kollegen, oder zumindest Chef und Untergebener. Doktor Bog setzt jovial seinen Monolog fort.
Eigentlich operieren wir hier in den seltensten Fällen. In ihrem Fall wird es nicht mehr nötig sein. Betrachten Sie sich vorsichtshalber als geheilt.
Und der Gott in Weiß streichelt versonnen das große runde Einmachglas voller Flüssigkeit, das auf einem weißen Beistelltischchen neben ihm steht.
Geheilt, ich? Ohne Operation?
Ganz ohne, wir brauchen die nicht mehr. Früher hätten wir uns einen Magen wie den Ihren nicht entgehen lassen. Wissen Sie, was ich hier in diesem schönen Glas habe?
Nein, antwortet der Maler.
Es ist nicht Ihr Magen, Sutinchaim, der ist noch in Ihnen drin, aber es ist ein Magen. Vielmehr ein schönes kleines Gebirge von Schleimhautfalten, aufgeschnitten, damit man die vielen kleinen dunstigen Täler sehen kann, die zusammengehalten werden von einem Mäntelchen aus Muskelbindegewebe. Das kleine Magenschleimhautgebirge kommt aus Chicago und wird auch dorthin zurückkehren. Sie wissen doch:
The Arts Club of Chicago
, 1935, Ihre erste Ausstellung auf dem amerikanischen Kontinent?
Der Maler ist verdutzt, er weiß beim besten Willen nicht, was er hätte antworten sollen.
Nun werden Sie staunen, Monsieur Sutinchaim. Es ist der erste von Billroth resezierte Magen, 1880 wundervoll eingelegt in duftendes Formalin. Die partielle Magenentfernung war doch ein Geniestreich. Die Zweidrittel-Resektion, verstehen Sie? Die beiden Varianten der Resektion nach Billroth gehören hier noch immer zu den beliebtesten Prüfungsfragen.
Und was hat dieser Magen mit meinem …?
Wissen Sie, lieber Sutinchaim, und er zwinkert ihm mit dem rechten Auge schelmisch zu, jeder Magen hat irgendetwas mit allen andern Mägen zu tun. Und was wir hier besonders lieben, ist die Zukunftsmedizin.
Zukunfts…, wollte der Maler wiederholen, aber er erinnert sich, dass ihm in der Vergangenheit von dorther nichts Gutes kommen wollte. Also erschrickt er auch bei diesem Wort.
Sicher, und jetzt schauen Sie einmal auf dieses schöne weiße Gerät. Sieht recht kompliziert aus, nicht? Das ist etwas Besonderes. Allerdings ein kleineres seiner Art, aber immer noch so groß wie ein größerer Schreibtisch. Nur Geduld, wir schieben es auf den zarten Räderchen nahe zu Ihnen ans Bett. Es ist ein Raster…elektronen… mikro…skop… Ersparen Sie sich die Frage! Es enthüllt Ihnen im Nu die Spiralform von Helicobacter pylori.
Von Helico…?
Er ist ein prächtiges gramnegatives, mikroaerophiles Stäbchenbakterium, nennen Sie es zur Vereinfachung und ein wenig vertraulich Ihren Helicobacter. Denn sein bevorzugtes Siedlungsgebiet, wenn Sie so wollen, war Ihre Magenschleimhaut. Er ist ein spiralig gekrümmter Keim, der sich mit Geißeln fortbewegt.
Mit Geißeln?
Der Maler versucht sich ein Stäbchen vorzustellen, das sich selber vorwärtspeitscht, aber es gelingt ihm nicht. Er rutscht unruhig in seinem weißen Bett hin und her. Die weiße Leinwand hinter dem
Weitere Kostenlose Bücher