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Soutines letzte Fahrt: Roman (German Edition)

Soutines letzte Fahrt: Roman (German Edition)

Titel: Soutines letzte Fahrt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dutli
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ihren Sprung, verlangsamt ihn mit seinem Blick, schaut auf die Straße, auf der sie aufgeprallt sein muss, versucht, die genaue Stelle zu erspüren. Doch die Pflastersteine schweigen, das Blut, das aus ihrem Schädel rann, hat der Pariser Regen längst abgewaschen. Einmal geht im Haus gleich daneben ein Fenster auf, eine junge Frau steigt auf das Fensterbord. Er schreit hinauf:
    Nein! Nicht springen! Nicht springen!
    Da sieht er erst, dass sie einen Putzlappen in der Hand hält und die Fenster saubermachen will, eine Kollegin hält sie vom Wohnungsinnern her fest, damit sie nicht das Gleichgewicht verliert. Die beiden Frauen lachen fröhlich hinunter, als er aufschreit, ihre polnischen Späßchen versteht er zu gut, die vermeintliche Fensterspringerin rafft ihre Arbeitsschürze hoch und entblößt langsam und leicht ihren Schenkel und den Saum eines Unterrocks, der Maler wird rot, zieht seinen Hut tiefer ins Gesicht und trottet weg.
    Er ist nicht neidisch auf Modi, nicht auf Jeannes Flug, nicht auf die letzte Pirouette für ihn auf dem Eis der Januarpfützen, nicht auf den Rückwärtsflug eines einsamen Flugkörpers am grausamblauen Himmel seiner Liebe. Aber der Flug wird seinen Traum nie mehr verlassen. Er wird ihn Mademoiselle Garde erzählen und ihr erschrockenes Gesicht für immer im Gedächtnis behalten. Jeanne fliegt aus dem Fenster in der Rue Amyot, endlose Stockwerke entlang, und der Maler verwächst mit seinem Traum und der Pritsche im Leichenwagen, auf der er mit der linken Körperseite liegt, gekrümmt, ein Embryo mit farbigen Fingernägeln.

Ein Pharmazeut aus Philadelphia
    Doktor Bog tritt ins weiße Zimmer und spricht den still in seinem Blütenbett liegenden Maler ein bisschen barsch an:
    Sie sind geheilt, Monsieur Sutinchaim. Sie brauchen keine Operation mehr. Es ist alles gut. French Triple war erfolgreich. Die heilige Dreifaltigkeit von Protonenpumpenhemmer und zweier Antibiotika. Helicobacter pylori wird Ihnen nicht mehr zusetzen. Ihr Magengeschwür hat Sie verlassen, trauern Sie ihm nicht nach. Denken Sie an die weiße, schöne Milch, verehren Sie die Kühe, denken Sie mit Wehmut an das Bismutpulver zurück. Genießen Sie die weiße Schmerzfreiheit. Sie dürfen hier bleiben, so lange sie wollen. Ich wiederhole: Sie sind geheilt! Geheilt! Ihre Erinnerungen dürfen Sie behalten, sie sind Ihnen unbelassen. Weiden Sie sich darin, vergrößern Sie die Ihnen wichtigen Episoden, verändern Sie sie leicht, wie es Ihnen gefällt, oder löschen Sie sie zornig aus, all das ist Ihnen erlaubt. Bewahren Sie, was Ihnen bewahrenswert erscheint, und zerstören Sie die Bilder, die Sie aus der Welt fegen wollen. Ruhen Sie sich aus. Ist es nicht wunderbar, an diesem weißen Ort zu verweilen? Sie sind am Ziel. Sie haben sogar ein Recht darauf, hier zu sein. Nur eines muss ich Ihnen noch sagen. Nur eines ist Ihnen verboten: Sie dürfen hier nicht mehr malen. Verstehen Sie? Nie mehr. Die Folgen wären entsetzlich für Sie. Ich lasse Doktor Kno ein Protokoll aufsetzen.
    Modi haucht es seinem Händler Zbo kurz vor dem letzten Weggleiten ins Ohr:
    Sei nicht traurig, ich hinterlasse dir einen genialen Maler!
    Zbo schaut ungläubig. Keiner nimmt dem Propheten aus Livorno seine Prophezeiung ab. Er ist wohl schon in seinem Delirium, seine nackten Göttinnen mit den selig geschlossenen Augen heißen ihn schon willkommen in einem herrlichen mittelmeerischen Land.
Cara Italia
, o süße Herkunft!
    Und Modi war es auch, der Soutine in der Cité Falguière zugeraunt hat:
    Was du brauchst, ist ein Händler, Chaim.
    Er war es, der ihn 1916 Leopold Zborowski vorstellte, dem Gutsbesitzersohn und dichtenden Studenten, der 1914 einen Monat vor Ausbruch des Weltkriegs aus Krakau nach Paris gekommen war, voller Lebensgier, die Sorbonne rasch vergessend. Ein leichtlebiger, prassender, dauernd auf Pump lebender Außenseiter mit schwachem Herzen. Erst hat er bei den Bouquinisten seltene Bücher gekauft und wieder verkauft, dann kommen die ersten Leinwände, die er in seinem Wohnzimmer stapelt. Kisling, sein Nachbar in der Rue Joseph-Bara, führt ihn ein ins Milieu der Maler von Montparnasse. Im März 16 ist er Modiglianis Händler. Vertrag: 15 Francs am Tag, dazu Farben, Leinwände, Modelle … Der Italiener malt in Zborowskis Wohnzimmer, jeden Tag von zwei bis sechs. Und einmal schleppt er Soutine an und stellt ihn Zbo vor.
    Ein erstklassiger Maler, du wirst schon sehen.
    Zbo rümpft die Nase. Er liebt Modigliani, vor dessen Leinwänden er

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