Soutines letzte Fahrt: Roman (German Edition)
entzückt stammelt: Welche Poesie! Holt eine Kerze aus der Schublade und zeigt dem Besucher seine Wunderstücke, kramt sie aus einem Stapel hervor, liebkost sie leidenschaftlich mit Händen und Augen, wiegt verzückt den Kopf vor Modiglianis nackten Schönheiten. Welche Poesie, schauen Sie nur!
Und er liebt Utrillo, aber nicht diesen furchtbaren, schlecht riechenden Tölpel aus Weißrussland. Beim Betrachten seiner Bilder stehen ihm die Haare zu Berge. Wo ist hier die Poesie? Nur der Hunger, verrenkte Gegenstände, verzerrte Gesichter, nur Bedrängnis, keine Augenweide. Kleine Menschen, die erschrocken hineinschauen in die umfassende Heillosigkeit des Lebens.
Aber Chaim haftet an Modi, sie kommen jetzt immer öfter zu zweit vorbei, zwei Hälften, unzertrennlich in ihrer hungrigen Misere. Der schöne Italiener aus guter Familie und der ungehobelte Klotz, der schnieft und schmatzt am Tisch und sich den Mund mit dem Ärmel abwischt. Hanka Sierpowska, Zbos Gefährtin, kann den Kerl nicht leiden. Er ist überempfindlich, oft beleidigt, seine Schüchternheit ist nur eine schwache Hülle, aus der jeden Augenblick der große Wutanfall hervorbrechen kann.
Was schleppst du mir dauernd den ungewaschenen Jidden her? zischt Hanka vorwurfsvoll.
Modigliani sagt, er sei ein ungeheuer talentierter Maler. Und wir würden noch das blaue Wunder mit ihm erleben.
Hanka verzerrt nur den Mund und hebt den Blick zur Zimmerdecke, wenn Zbo den Satz immer wieder hersagt.
Ach was, dieses Wunder werden wir nicht mehr erleben! Seine Bilder sind so widerwärtig und verschmiert wie er selber.
Und Hanka stampft mit ihrem zarten aristokratischen Füßchen auf den Dielenboden.
Zbo will ihn möglichst rasch loswerden, schickt ihn für drei Jahre in die Pyrenäen, 1919 bis 1922, um ihn nicht sehen zu müssen und den Frieden mit Hanka nicht zu gefährden. Ende 1919 unterzeichnet er einen Vertrag mit Soutine. Fünf Francs pro Tag. Und dann ab nach Céret, das berühmt ist für seine Kirschen.
Céret est célèbre pour ses cerises!
Nach zwei Jahren hat Zbo noch kein einziges Bild bekommen. Er reist selber hin, findet Soutine niedergeschlagen und bereit, alle seine Bilder zu verbrennen. Der Hof des Hotel Garreta hat schon zu viel schwarzen Rauch gesehen. Zbo schafft es, ihm die meisten zu entreißen. Und fährt mit zweihundert Gemälden auf einem gemieteten Lastauto nach Paris zurück.
Auch Soutine hasst Zbo, der ihn demütigt, die Zahlungen verzögert oder vergisst, Bilder verkauft, ohne den Maler teilhaben zu lassen. Er lässt ihn spüren: Du bist nicht Modigliani! Schickt ihn auch an die Côte d’Azur, nach Cagnes und nach Vence, nur weit weg. Und dann passiert das Wunder. Denn Wunder vergessen … nur ungern ihre Erde, bewahren Adressen.
Drei Jahre nach Modiglianis Tod schlägt ein Meteor in Montparnasse ein. Im Dezember 1922 taucht dieser amerikanische Milliardär in Paris auf, Doktor Barnes, über den man sich zuraunt, er habe als Zeitungsjunge angefangen und sei exakt der
self-made man
, von dem Amerika schon immer geträumt hat. Ein Metzgerssohn aus einer Arbeitervorstadt von Philadelphia, der im Schnelldurchgang studiert und mit zwanzig Jahren Doktor der Medizin ist. Mit dem Antiseptikum Argyrol hat er ein Vermögen gemacht und ein pharmazeutisches Imperium aufgebaut. Der universalen Augenentzündung erfand er ein Heilmittel, das Argyrol, das er schon Neugeborenen als Serum ins Auge träufelt. Die Augen der Welt werden es ihm danken.
God bless America!
Dann kommt noch ein Tag der Erleuchtung, als er erkennt, dass die Welt nicht nur aus entzündeten Augen und seinem Wundermedikament besteht. Und dass pharmazeutische Imperien so sterblich sind wie chinesische Kaiser. Er macht sich auf die Suche nach der farbigen Ewigkeit, gibt sich eine Mission und fährt in die Hauptstadt der Malerei. Schon kurz vor dem Weltkrieg war er nach Europa gereist, um Dutzende von Renoirs, Cézannes, aber auch Bilder von Matisse und Picasso zu kaufen. Dann baut er im Jahr 1922 in Merion bei Philadelphia seinen Schätzen ein Museum, das die Angestellten der Argyrol-Fabrik das Staunen lehren, ihnen die Augen waschen soll für die Schönheiten der Kunst. Weiße und schwarze Arbeiter sind ihm willkommen, er ist ein liberaler Unternehmer, dem das Wohl seiner Angestellten am Herzen liegt. Er liebt die afrikanische Kunst, seit er von seiner Mutter zu den Gottesdiensten der Methodisten mitgenommen wurde und früh Kontakt fand zu den dunkelhäutigen Kindern. Das
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