Soutines letzte Fahrt: Roman (German Edition)
einer Hand, die andere ist voller Dollars, die sich alles kaufen konnten auf der Welt. Früher war der Schweiger aus Smilowitschi ein ewig Bemitleideter gewesen, einer, der sich vor Hunger kaum auf den Beinen halten konnte. Jetzt tauchen Neid und Missgunst auf, die treuen Begleiter des Begehrtwerdens. Wie viele verkannte Genies warteten lebenslang auf den Pharmazeutengott, der wie Barnes eintreten sollte in ihre Höhlen und verschmutzten Ateliers, mit dem Zeigefinger auf die Leinwände weisen und laut verkünden würde:
This one, and this one, and this one
…
Als Doktor Bog ins weiße Zimmer trat, musste der Maler Sutinchaim sofort an den Eintritt des amerikanischen Milliardärs in sein Leben denken. Der Heiler der allumfassenden Augenentzündung! Und der Pharmazeutengott ließ seine Soutine-Beute in Le Havre einschiffen. In der Villa in Merion bei Philadelphia gab es fortan eine erste Gesandtschaft in Übersee, schon 1923 gelingt den Bildern der Sprung über den Ozean.
Der benebelte Maler will sich von der Pritsche aufrichten und den beiden Fahrern des Leichenwagens zuflüstern:
Ich hatte auch einmal einen Chauffeur, hören Sie? Und Zbos komfortables Automobil war immer für mich da.
Doch seine Stimme erreicht die Fahrer nicht, die nach schmalen Wegen durch zwergenhafte Dörfer suchen. Seine Stimme ist weit weg, er ist abgetaucht in den flaumigen, wattigen Strom der Erinnerungen, den ihm Sertürners Morphintinktur beschert.
Zborowski, der polnische Poet, der sich in einen Kunsthändler verwandelt, der die weißen Anzüge und weißen Schuhe liebt, hat endlich auch ein Automobil angeschafft und einen Chauffeur eingestellt, Daneyrolles. Modiglianis früher Tod machte die Sammler endlich begierig auf seine Bilder, jetzt kommen seit Barnes’ Beutezug die Amerikaner zu ihm und lassen die Dollarbündel auf dem Wohnzimmertisch liegen.
Daneyrolles! Ja, Soutine sieht ihn jetzt klar vor seinen geschlossenen Augen. Er lässt sich jetzt ohne Zwischenstopp nach Nizza chauffieren, zusammengekrümmt auf den hinteren Sitzen schlafend, ein Malerembryo in einem Lincoln, Modell
Le Baron
. Zbo schickt ihn an die Côte d’Azur, wenn es in Paris zu grau ist.
Vence oder Cagnes, das Licht ist wunderbar, sagt Zbo.
Es gibt auch keine spanische Grippe mehr, es sind die goldenen zwanziger Jahre. Soutine aber hasst dieses blendende, selbstbewusste Licht, er ist verzweifelt wie damals in den Pyrenäen. Er wischt alles Gemalte wieder aus, zerstört Leinwände, schlitzt sie auf.
Ich möchte Cagnes verlassen, diese Landschaft, die ich nicht ertragen kann. Ich werde ein paar miserable Stillleben malen müssen.
Er ist allein. Er dreht sich im Kreis. Nichts mehr hält ihn hier zurück. Er möchte weg. Er hasst die Sonne. Er hasst Cagnes. Er hasst sich dazu. Er hasst, dass er sich hasst.
Auf jedem Bild ist er drauf, der kleine taumelnde Fußgänger auf der gelben Landstraße, der kaum mehr gehen kann. Oder liegt er schon auf der Straße? Ein Betrunkener? ein Gestrauchelter? vom heillosen Leben Niedergestreckter? Auf dem Dorfplatz von Vence steht die riesige Platane, immer wieder muss er sie malen, als dunkelsten Baum, der das Universum überragt, als fransende schwarze bedrohliche Masse. Soutine zu Daneyrolles:
Dieser Baum ist eine Kathedrale!
Auch dort wird das zwergenhafte Unglücksmännchen auftauchen. Winzige Ikone der Verlorenheit. Der Chauffeur Daneyrolles hat aber noch einen anderen geheimen Auftrag von Zborowski. Einen Überwachungs- und Aufsammelungsauftrag, eine Malerbeschattung. Hat er Soutine irgendwo an den Waldrand chauffiert oder in eine ruhige Straße von Vence, hat der Maler in gebührender Entfernung die Staffelei aufgestellt und zu malen begonnen, holt sich Daneyrolles ein Eimerchen Wasser aus dem Brunnen und beginnt mit dem Schwamm, die Kühlerhaube seines Lincoln zu waschen, dann gemächlich die Kotflügel, ohne Eile die Türen, mit fast demonstrativer Langsamkeit die Türgriffe. Dann reibt er mit einem Ledertuch das Automobil ab, bis es nicht mehr kann vor lauter Glanz.
Stundenlang poliert er den Wagen, schielt aber aus den Augenwinkeln zum Maler hinüber, verfolgt jede seiner Bewegungen. Bricht wieder ein verzweifeltes Gewitter aus und Soutine verstümmelt mit gellender Wut die Leinwand, muss Daneyrolles den Maler ablenken, ihn beruhigen, ihn in die nahgelegene Wirtschaft zu einem kleinen Glas begleiten. Der Chauffeur schleicht wieder hinaus, sammelt die Ruinen sorgsam auf, verwahrt sie im Kofferraum des Lincoln,
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