Soutines letzte Fahrt: Roman (German Edition)
um sie Zbo zu übergeben. Der bringt sie zum Restaurator, der chirurgisches Geschick braucht, um aus den Fetzen wieder etwas Ganzes herzustellen.
Zborowski lässt die Besucherin aus der Zukunft eintreten in seine kleine Wohnung an der Rue Joseph-Bara.
Schauen Sie nur, was sich Soutine erlaubt hat!
Zbo zeigt auf das Porträt der alten Schauspielerin. Die Leinwand liegt auf dem Boden, aufgeschlitzt, als hätte er vom Arm seines Modells das Fleisch ablösen wollen bis auf den Knochen.
Ich werde wieder ein Vermögen ausgeben bei Jacques, um das Bild restaurieren zu lassen.
Sein alter Freund Miestchaninoff hat ihm vor ein paar Tagen sein eigenes Porträt aus den Händen reißen müssen, weil Soutine nicht mehr zufrieden war damit und es zerstören wollte. Als der Maler eine ganze Anzahl von ihm bereits zerstört geglaubter Bilder in Zbos Wohnung wiederfindet, nutzt er einen Augenblick, in dem er unbeobachtet ist, rafft mit ein paar Handgriffen die Leinwände zusammen und steckt sie im Wohnzimmer in den Kamin. Die Flammen schießen in die Höhe, Rauch überall, die Nachbarn kommen angerannt, die Feuerwehr muss gerufen werden, Polizeibeamte stehen herum, setzen ein Protokoll auf.
Und Soutine ist längst voller Wut aus dem Haus gelaufen.
Daneyrolles, der Chauffeur: Er will, dass ich lese. Er rezitiert mir Rimbaud! Wir diskutieren über Gladiatorenkämpfe und die Seele, die sich in die Erdendinge mischt, ohne den Himmel zu verlassen, über Senecas Briefe an Lucilius!
Und Daneyrolles chauffiert ihn im Sommer 28 nach Bordeaux, zum Kunstkritiker Elie Faure, der das erste ernsthafte Buch über den Fremden schreibt, ihn als religiösen Maler schildert, seine Religion der Farbe. Es ist alles anders. Der Maler will aufstehen, um zu widersprechen. Und da ist Faures Tochter. Soutine will die Erinnerung verscheuchen, nein, er will nicht, will sich nicht erinnern.
Derschtikt solstu weren!
Daneyrolles und der blitzblanke Lincoln, ja. Die Fahrten nach Nizza, ja. Aber nicht Marie-Zéline. Vor lauter Schüchternheit und Tolpatschigkeit vermasselt er seinen Heiratsantrag. Nie hat er es verstanden, mit Frauen zu reden. Modi betörte sie mit seiner Stimme, er summte, raunte ihnen Verse ins Ohr, die ihnen Schauder über den Rücken jagten. Sie zuckten zusammen, schlossen die Augen, da hatte er bereits seine Hand auf ihren Arm gelegt, nach dem Ohr den Kontakt zur Haut aufgenommen. Und sie besorgt den Rest. Er verscheucht das Bild vom zärtlich-fordernd raunenden Modi, der ihn noch verlegener macht. Er wartet ab, bis er mit Marie-Zéline allein im Raum ist. Lange schweigt er, ihr wird schon unheimlich. Dann findet ein erstes heiseres Wort über seine Lippen.
Mademoiselle …
Ja, bitte, Monsieur Soutine.
Er sucht jetzt mit dem Blick den Teppich ab, auf dem sie steht, als habe er irgend etwas verloren, ein Geldstück, einen Bleistift, ein Fitzelchen Papier. Er sucht verzweifelt am Boden, was er nicht verloren hat. Er wagt es nicht, den Blick zu heben und sie anzuschauen. Mademoiselle Faure sucht auch schon den Kreis um ihre Beine ab und kann dort beim besten Willen nichts entdecken. Schönheit verwirrt ihn, sie straft ihn. In den billigen Bordellen hatte Modi rasch die kleinen Schmuckstücke entführt, die ihm kichernd aufs Zimmer folgten, Soutine aber wählt die hässlichen, unförmigen, deren Züge von frühem Alkohol und schlechter Ernährung sprachen, deren Haut ein Leben voller Niederlagen erzählt.
Monsieur Soutine, bitte, was möchten Sie denn?
Mademoiselle Faure, jemand … möchte … will … Sie … um Ihre Hand anhalten.
Und sie lacht dieses helle und unbeschwerte Lachen, das ihn niederstreckt. Ein Lachen wie von einem anderen Stern, ein luftiges zartes Lachen, das bedeutet: Das Leben ist viel zu leicht.
Ja, wer denn? Vor drei Tagen hat mir ein Pilot einen Antrag gemacht. Und ich habe ja gesagt, verstehen Sie? Er wird mich irgendwann sogar mitfliegen lassen, mich hinauf in den Himmel tragen.
Ein Maler will vor Scham im Teppich verschwinden. Er stürzt aus dem Zimmer. Abgewiesen. Gegen einen Piloten kommt er nicht an, auch wenn er jetzt nicht mehr seinen farbverspritzten Blaumann trägt, sondern einen Anzug von Barclay. Die Scham bleibt die gleiche, sie will sich nicht verkleiden lassen. Kurz darauf stürzt der Pilot ab, und Soutine überwirft sich mit dem besten Kenner, der je ein Auge auf seine Bilder geworfen hat.
Es brent mir ahfen hartz
, will er stammeln im weißen Paradies.
Und noch ein abstürzender Pilot. Zbo
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