Soutines letzte Fahrt: Roman (German Edition)
lebt jetzt gern auf großem Fuß, nachdem Barnes ihm seine Sofa-Schätze abgekauft hat. Er simuliert täuschend echt einen richtigen Wohlstand, verpulvert bedenkenlos, was er einnimmt. Seine Galerie an der Rue de Seine eröffnet 1926, doch der Erfolg dauert kaum zwei, drei Jahre, dann ist der Rausch zu Ende. Es kommt das Jahr 1929, der Börsenkrach, die Finanzkrise. Die Amerikaner bleiben aus, die Nachfrage nach Bildern ist gelöscht. Mister Argyrol kämpft vergebens gegen die Entzündung amerikanischer Augen.
Zbo spekuliert ohne jedes Glück an der Börse, stirbt vereinsamt, ruiniert und verschuldet mit dreiundvierzig Jahren im März 32. Sein schwaches Herz hat recht bekommen. Geld ist nur Geld, dazu da, es zu verpulvern, nichts weiter. Wohlstand ist nur Lug und Trug, die Kartenhäuser sind dazu da einzustürzen. Montparnasse ist das Weltzentrum der Verschleuderung von Geld und Talent. Seine weißen Dandy-Schuhe haben keinen Besitzer mehr. Anonymes kollektives Armengrab. Das Leben ist ein immer nur vorgetäuschter Wohlstand. Es lebt auf großem Fuß und fällt aus dem Schritt.
Soutine wohnt jetzt im Passage d’Enfer, man braucht nur den Boulevard Raspail zu überqueren und ist im Friedhof Montparnasse. Er fürchtet sich vor dieser Adresse: Höllen-Passage. Namen machen ihn abergläubisch. Wie kurz sind hier überall die Wege, aber scheinbar endlos lang die Fahrt zur finalen Operation.
Das Ochsengerippe und Doktor Bardamus Brief
Doktor Bog kommt in seiner prachtvollen weißen Tracht mit verhaltenem Schritt und nachdenklichen Zügen ins Zimmer, tritt an das Bett des Malers, schaut ihm aber kaum ins Gesicht und beginnt sofort zu sprechen:
Blut ist ein ganz besondrer Saft …
Und er murmelt noch versonnen, leicht vorwurfsvoll:
Heinrich … Heinrich.
Keiner hört das ganz genau. Manchmal hatte Doktor Bog eine weinerliche Stimme, wenn er dem Maler bei seinen Visiten salbungsvoll vom medizinischen Fortschritt in der weiten Welt berichtete. Vom Krieg sprach er nie. Dennoch schien er zu jammern in seinem weißen Paradies. Die Klinik bot ihm sichtlich wenig wahren Grund zur Freude. Es lief hier offenbar nicht alles so, wie er es gern haben wollte. Nur als er dem Maler Billroths resezierten Magen gezeigt hatte, schlich ein Lächeln über sein Gesicht.
Der Maler Sutinchaim liegt in seinen sauberen Kliniklaken wie in einem Bett aus Schnee und schweigt. Er hat sich vorgenommen, auch an diesem Ort zu schweigen. Genau so, wie er es zeitlebens gehalten hat. Jedes Wort auf die Schneewaage. Nicht einmal eine kleine Flocke aus dem Malerleben. Nichts außer den Bildern. Doktor Bog soll nicht mehr aus ihm herausbekommen als damals dieser verrückte Henry Miller, der ihn Anfang der Dreißiger für irgendein amerikanisches Zeitungsblättchen interviewen sollte. Eine Wolke aus Schweigen. Nur gab es hier keine Wolke aus Zigarettenrauch mehr, die musste fehlen. Schweigend starrt der Maler auf die weiße Bettdecke vor ihm, die Hände wie in liegender Habachtstellung an den Seiten beider Schenkel. Aber die Fingerbeeren versteckt er im Innern der Hand, damit Doktor Bog die Farbspuren, die das Nagelbett rahmen, nicht sehen kann. Es scheint, als balle er beidseits eine Faust. Ja, er schweigt.
Doktor Bog sinniert weiter drauflos, lässt sich von einem beharrlichen Malerschweigen nicht aus dem Konzept bringen.
Ist im Blut mehr Leben oder mehr Tod? Sicher, fährt Doktor Bog seelenruhig fort, es versorgt diese lachhafte, mal straffe, mal schrumpelige Körperhülle mit Nahrung und Sauerstoff, durchspült sie mit Hormonen und prächtigen Wirkstoffen, regelt die Zellharmonie. Und doch ist Blut auch der fließende, fahrende Tod. Denn die fünfundzwanzig Trillionen roter Blutkörperchen, die in ihm treiben wie irre Flöße, sind abgestorbene Zellen, wissen Sie. Lauter Verliererzellen. Sie haben ihr Erbmaterial verloren, fast alle Zellorgane. Sie sind ein tiefroter Tod. Das Blut erzählt eine endlose Geschichte vom Absterben, von unwiederbringlichen Verlusten.
Sagen Sie jetzt nur nicht, Sie können kein Blut sehen, Monsieur Sutinchaim. Und das blutende Ochsengerippe, die Auslagen der Fleischereien in Céret, der Metzgergeselle, der in allen blutroten Tönen schillert, der abgehäutete Hase, der wie gekreuzigt auf dem Tisch liegt? Jeder weiß, dass es für Sie kein schöneres Sonntagsvergnügen gab, als zu Catch-Kämpfen in die Winterradrennbahn zu gehen. Dieses Packen und Würgen des menschlichen Fleisches, die geplatzten Augenwülste, das Blut
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