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Soutines letzte Fahrt: Roman (German Edition)

Soutines letzte Fahrt: Roman (German Edition)

Titel: Soutines letzte Fahrt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Dutli
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schon, dann muss er ein wiehernder Pfuscher sein, ein kopfloser Stümper von Operateur, der sich immer wieder verhauen hat mit seinem Skalpell, sich noch immer verhaut. Gewaltspfusch des operierten Weltalls, die Stiche der Sterne, der Abgrund schwarzer Löcher. Es gibt nichts Schöneres, glaubt mir, als zum Himmel aufzuschauen und ohne Trost zu sterben. Wenn schon, dann schon. Allein und ungetröstet, verloren und verlassen. Keine Gnade und kein Danach zu erwarten bedeutet doch die beste Freiheit. Die allumfassende Heillosigkeit zu erkennen schenkt die einzige Möglichkeit fortzuleben. Pardon wird nicht gegeben, Doktor Bog. So soll es sein. Ich liebe diese weiße Klinik, sie ist viel schöner, als ich es mir hätte träumen können. Ein trostloses Paradies. Lasst uns dem Maler helfen.
    Der Groom in seiner roten Uniform sagt plötzlich:
    Ihr glaubt doch nicht, dass wir hier je wieder herauskommen? Was ist das für ein Hotel? Es gibt keine Aufzüge, nur Treppen.
    Aber der Maler ist doch geheilt, oder nicht? wirft die Erstkommunikantin ein, die zarte kleine Schleiereule.
    Der Messdiener setzt noch einmal an:
    Kennt ihr seine Bilderreihe mit dem Mann im Gebet? Er hat sie in Céret gemalt, in den Pyrenäen, 1920, im Jahr als Modigliani starb. Ein Monsieur Racine war sein Modell. Es gibt welche, die haben ihn einen religiösen Maler genannt. Den Maler der gekreuzigten Kreatur. Und deren Erlösung. Aber wovon und wozu? Es gibt keine Lösung außer in der Farbe. Worauf die Menschen alles kommen.
    Still, da horcht einer an der Tür. Ich werde nachsehen, sagt der Konditorjunge mit dem großen roten Ohr.
    Und er steht auf, geht auf Zehenspitzen zur Tür und reißt sie auf. Niemand ist draußen. Niemand. Der Maler hat sich in seinen weißen Pantoffeln ohne jedes Schlurfgeräusch schon um die Ecke weggeschlichen.
    Doch der Messdiener behauptet jetzt vor dem Verschwörerkomitee, er habe den Mann im Gebet in der Klinik gesehen, ihn sofort wiedererkannt. Und ihn auch angesprochen. Und er erzählt von seiner Begegnung, als er den Mann mit dem länglichen Gesicht und den buschigen Augenbrauen ansprach:
    Was tun Sie hier?
    Das sehen Sie doch. Beten.
    Nur beten? Nichts als beten?
    Es gibt für mich nichts Besseres zu tun.
    Weil Sie Gott lieben? Den Erlöser, der schon da war, oder den Maschiach, der erst kommt?
    Der Mann im Gebet schaut den Jungen streng an und sagt ruhig zu ihm wie zu einem längst Erwachsenen:
    Es gibt erstens keinen, der schon war, und zweitens keinen, der erst kommt.
    Keinen Erlöser?
    Weder jetzt noch später, und auch nicht sehr viel später. Erlöst werden wollt ihr? Ja, was braucht ihr denn noch? Seid ihr nie zufrieden? Es geht auch ohne.
    Dann freuen Sie sich gar nicht auf das Paradies? Es wird wunderschön sein, wir werden singen und jauchzen in einem gewaltigen Chor von lauter Entzückten. Es wird unbeschreiblich sein, unsere Leiber werden strahlen und aufblühen, und die Wunder werden ohne Zahl sein. Es wird eine einzige Glückseligkeit herrschen.
    Glückseligkeit? Paradies? Willst mich wohl auf den Arm nehmen. Warum hat er es nicht früher geschafft? Wenn es denn käme, es wäre viel zu spät. Warum dieses unselige Warten auf Erlösung, allein die Verspätung ist schon unanständig. Und nie wird es eine so große und tiefe Glückseligkeit geben können, dass sie alles Leiden und alle Mühsal wiedergutmachen, alles Zerrissene und Zertretene heilen könnte. Es wird keine Wiedergutmachung geben, hörst du, wie sollte es auch, wie sollte die aussehen? Sie wäre nur ein läppisches Almosen für alles Elend und Unheil, das in den Jahrmilliarden vorgefallen ist. Ein lächerliches Zückerchen. Er weiß es selber genau, dass er immer Schuldner bleiben würde, dass er nichts wiedergutmachen könnte, deshalb zieht er es vor, nicht zu kommen. Keine Wiedergutmachung für Gott. Nie. Und die Besatzer werden die Welt so zurichten, wie sie es für richtig halten. Ganz Europa, verstehst du, nicht nur Frankreich, nein, die Welt wird am Hakenkreuz baumeln für immer und ewig, verstehst du? Füße nach oben, Schultergelenke ausgerenkt, in lauter verkehrten Kreuzigungen.
    Gott wird es nicht erlauben, Herr.
    Gott erlaubt alles, das ist es ja eben. Alles und jedes, jede abscheuliche Schweinerei, verstehst du das nicht in deinem rosigen Messdienergehirn? Gott hat die
carte blanche
dafür erfunden.
    Warum beten Sie dann dauernd?
    Ja, warum denn nicht. Eben darum. Gestorben ist Gottes Sohn, mausetot. Und wie der Sohn so der Vater. Es

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