Soutines letzte Fahrt: Roman (German Edition)
ist so glaubhaft, weil es ungereimt ist. Der Beigesetzte ist auferstanden und der Auferstandene ist für immer tot. Es ist so völlig sicher, weil es unmöglich ist. Credo quia absurdum.
Ich verstehe Sie nicht mehr.
Der Messdiener versucht das ihm unheimlich gewordene Gespräch zu stoppen.
Aber der Mann fügt noch hinzu:
In nomine patris et filii et spiritu sancti.
Amen, flog es dem Messdiener von den Lippen.
Und jetzt lass mich in Ruhe, ich habe zu tun.
Der Mann murmelt Unverständliches, wiegt seinen Körper vor und zurück und ist nicht mehr ansprechbar.
Der Maler war leise in sein weißes Lakenzimmer zurückgekehrt. Er versucht zu vergessen, dass er sich nicht erinnert. Er fährt im Leichenwagen zur Operation nach Paris und erinnert sich an das weiße Paradies. Er liegt in der weißen Klinik und erinnert sich an eine Fahrt im Leichenwagen von Chinon in die Hauptstadt des Schmerzes. Wann träumt er wovon? Er schüttelt im Traum den Kopf. Die kleinen Verschwörer also leben wie er in dieser weißen Klinik? Es scheint ihm so undenkbar, dass er sich gegen die schneeweiße Wand dreht.
Er sieht sie jetzt noch einmal vor seinen Augen, Mutter und Kind, die er gemalt hat im Jahr 42 der großen Deportationen. Es ist eines der letzten Bilder, er hat es in Champigny-sur-Veude gemalt. Näher könnten sich die beiden Köpfe nicht sein, sie gehen beinah ineinander über, aber in der Nähe liegt die ungeheure Spannung, die sie zerreißt. Der Blick der Mutter gleitet abwärts zum schmutzigbraunen Boden. Was sie um die Augen trägt, sind nicht die Ringe der Erschöpfung, dort spricht der endgültige Mangel an Ausblick. Vor allem das linke Auge ist dunkel umschmiert vom Unheil, es ertrinkt in der Farbe des Unglücks.
Der Blick des kleinen Mädchens aber ist der Mittelpunkt, so voller Leben, leicht in die Höhe gerichtet, witzig aus dem Unheil hinaus, vermutlich in die Zukunft, die für das Kind ohnehin nicht so heißt. Es gibt nur das Jetzt und eine fast greifbare Lust am Leben. Die Augen zappeln vor Freude, Schauen ist das pure Vergnügen. Lange wird das Mädchen es nicht aushalten auf den Knien der Mutter. Eine Gegenwart wie Blei, und nur die eine Schulter der Mutter ist sichtbar, die andere ist schon abgesunken und gelöscht von der Katastrophe. Die Schultern des Mädchens aber sind gebläht vom Glück, von der Jubellust des Lebenwollens auf der rauhen Leinwand des Elends.
Irgendwann wird das lebhafte Mädchen die Haltung der verhärmten Mutter einnehmen. Die beiden Gesichter verkörpern zwei Lebensphasen, deren eine todsicher in die andere übergehen wird. Die dicken braunen Strümpfe der Mutter beherrschen überaus sichtbar den Vordergrund. Haben Strümpfe je so viel Misere ausgedrückt wie diese torfbraune doppelte Armseligkeit? Das Leben selber ist ein Paar einschnürender brauner Strümpfe. Das Stuhlbein links steht so schräg, dass das knapp verschmolzene ungleiche Paar im nächsten Augenblick endgültig in den Abgrund kippen muss. Warum kommt ihm gerade jetzt das Wort Jama in den Sinn? Der tiefschwarze Schattenwurf links könnte endloser nicht sein. Gibt es hier überhaupt Wände? Kaum, der Raum ist das unmöblierte Riesengehege des Elends.
Aber das Blau der beiden Kleidchen! Zwei unassortierte Geheimfächer von Himmelblau. Auf beider Haut liegt ein Fetzen hellseligen Glücksversprechens. Bei der Mutter wird es von Blick, Haltung und torfbraunen Strümpfen sofort abgeleugnet. Das bisschen weißer Rüschenunterrock verstärkt die Verneinung. Beim kleinen Mädchen ist das Himmelblau die Haut der hüpfenden Gegenwart. Genau so lange, wie es daran glauben wird. Ein wenig von diesem Blau des Versprechens schmiegt sich kokett um seine Augen. Vielleicht wird das kleine himmelblaue Mädchen eines Tages mehr Glück sehen. Aber es steht nirgendwo geschrieben.
Der Maler sträubt sich in seinem lichtweißen Laken. Nein, nicht das Glück. Bloß nicht das nichtige Glück. Das Glück ist nicht das Thema. Sprich lieber von der Milch. Die Farbe der Zukunft ist die Farbe der Milch.
Mademoiselle Garde und das nichtige Glück
Er liegt in seinem blendend weißen Bett und denkt tatsächlich an das Wort Glück, das sich scheinbar so völlig fremd fühlt in seinem Leben. Wirklich dieses Wort? Muss es sein? Ein ähnliches vielleicht, aber es gibt kein ähnliches. Als der unglücklichste Maler von Montparnasse zu gelten, war ein solider Schutzschirm. Die Aura des Unglücks bewahrt den Menschen vor der Zudringlichkeit der Welt. Der
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