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Souvenirs

Souvenirs

Titel: Souvenirs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foenkinos
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Frau sein. Sie sprach den Namen ihres Mannes aus, und die alte Frau bat sie herein. Tatsächlich, da saß er. In der Küche auf einem Stuhl. Sie hielt inne. Ja, er war’s. Der Mann ihres Lebens, der Mann, um den sie so viel geweint hatte.
     
    Sie beobachtete ihn. Eine geschlagene Minute verging. Sein Kopf bewegte sich nicht. Sonia ging auf ihn zu, und da begriff sie, dass er blind war. Er hatte beschlossen, lieber spurlos zu verschwinden, als nach Frankreich zurückzukehren und seine Frau und seine Tochter nicht mehr sehen zu können. Sonia legte ihren Kopf an seine Schulter. Einige Monate später erteilten ihr die sowjetischen Behörden die Erlaubnis, ihn nach Frankreich zurückzuholen. Eines Abends schließlich flüsterte er ihr zärtlich ins Ohr: «In meiner Erinnerung sehe ich dein Gesicht.»

19
    Wir stiegen wieder ins Auto. Meine Großmutter wirkte müde, trotzdem schlug ich ihr vor, in das Lokal zu gehen, in dem es die Meeresfrüchte gab. Es war genau der richtige Zeitpunkt, sich auch mal was zu gönnen. Sie antwortete nicht gleich, überlegte anscheinend hin und her. Endlich verkündete sie:
    «Ich will lieber zu mir nach Hause.»
    «… Nach Hause? … Wie meinst du das?» «Na, in meine Wohnung. Ich hab Lust, mal wieder meine Wohnung zu sehen.»
    Ich schwieg. Es hatte ihr noch keiner die Wahrheit gesagt. Mit keiner meine ich meinen Vater und meine Onkel. Sie hatten die Wohnung verkauft, obwohl sie versprochen hatten, es nicht zu tun. Ohne meiner Großmutter einen Tondavon zu sagen. Und ganz schnell. Mehrere höchst ungünstige Umstände waren zusammengetroffen. Nachdem meine Großmutter ausgezogen war, nahm der Nachbar über ihr unverzüglich Kontakt zu meinem Vater auf, um die Wohnung zu kaufen. In Anbetracht der Trägheit des Immobilienmarkts konnte man ein solches Angebot nicht außer Acht lassen. Die drei Söhne hatten gedacht, die Wohnung zu behalten, aber ihnen war vollkommen klar, dass man sich mit dieser Entscheidung etwas vorgaukelte. Was auch geschehen mochte, früher oder später würde die Wohnung verkauft werden. Also gaben sie angesichts der Hartnäckigkeit des Nachbarn nach. Angesichts seiner Hartnäckigkeit, aber auch angesichts seiner etwas rigorosen Art, Geschäfte zu machen. Er drohte damit, sein Angebot zurückzuziehen, stellte ein Ultimatum. Einige Zeit später sollte ich erfahren, dass er mit meiner Großmutter gesprochen hatte, ein paar Tage, bevor sie ausgezogen war. Überaus interessiert hatte er sich erkundigt: «Ziehen Sie aus?» Und sie hatte zurückgegeben: «Nur vorübergehend.» Insofern hatte er es so verstanden, dass die Zeit drängte. Er sehnte sich nach mehr Platz, träumte von einem Zimmer, in dem er endlich seine Modelleisenbahnsammlung ordentlich aufstellen konnte.
     
    Einige Jahre zuvor hatte sie die Wohnung auf den Namen ihres ältesten Sohns überschrieben, ich glaube, um die Erbschaftssteuer zu umgehen. Und damit war die Sache beschlossen. Aber meine Großmutter durfte fürs Erste nichts davon wissen. Denn sie war gerade im Begriff, sich wackeran das Altenheim zu gewöhnen. Man hatte sich vorgenommen, es ihr später irgendwann mitzuteilen. Ich betone, es ging hier nicht ums Geld. Mein Onkel überwies den Erlös aus dem Wohnungsverkauf auf das Konto meiner Großmutter. Damit sie später entscheiden konnte, was sie damit machen wollte, wenn sie ihr die Wahrheit gesagt hätten. Man hätte den Entschluss, das Wohnungsgeheimnis zu lüften, gern noch ein bisschen hinausgeschoben, doch die Umstände und das Drängen meiner Großmutter hatten zur Folge, dass sie an jenem Tag herausfand, dass sie kein Zuhause mehr hatte. Dass ihr Zuhause jetzt endgültig das Altenheim war.
     
    Ich sagte, dass ich keine Zeit hatte, aber sie hielt dagegen: «Zum Essen gehen hast du Zeit, aber nicht, um mich zu mir zu fahren?» Anlügen wollte ich sie auf keinen Fall. Ich sträubte mich nur dagegen, mir diese Rolle aufzubürden. Also erzählte ich ihr alles. Sie schwieg eine ganze Weile, dann bat sie mich: «Fahr mich bitte ins Heim.» Auf dem Weg dorthin verteidigte ich, wenn auch halbherzig, ihre Söhne. Aber eigentlich war ich ganz ihrer Meinung. Ich fand, dass sie sich schlecht verhalten hatten, dass sie die Wohnung niemals hätten verkaufen dürfen, ohne ihr etwas davon zu sagen. Als ich vor dem Heim hielt, küsste sie mich auf die Stirn und bedankte sich. Ich bot ihr an, sie auf ihr Zimmer zu begleiten, aber sie sagte Nein. Nein. Und nochmals Nein.
     
    Diese Wahrheit schmerzte sie

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