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Souvenirs

Souvenirs

Titel: Souvenirs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foenkinos
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selbstständige Frauen erlebt, die zarte Liebesbeweise einforderten, sobald sich herausstellte, dass das Interesse auf Gegenseitigkeit beruhte. Eine der (unzähligen) Paradoxien im System Frau. Und ein Exkurs während einer Autofahrt.
     
    Die Friseurbesuche waren der neue Spleen meiner Großmutter, den sie in den vergangenen Monaten entwickelt hatte. Dabei kam nie viel heraus, man schnitt ihr wohl ab und zu ein Strähnchen ab, aber es bekam ihr anscheinend, wenn sie ihr Äußeres pflegte; sie sandte ein deutliches Lebenszeichen aus. Mein Vater gab ihr Geld und meinte, sie könne auch zur Maniküre oder zur Gesichtspflege gehen. Sie solle es sich einfach gut gehen lassen. Ich fand es großartig, dass sie auf ihr Erscheinungsbild Wert legte. Dennoch, bei aller aktiver Vorbereitung, die sie für unseren gemeinsamen Ausflug getroffen hatte, musste sie sich nun redlich Mühe geben, ihr Unbehagen im Zaum zu halten. Wo fuhren wir hin? Ich parkte vor einem kleinen Mietshaus im 20. Arrondissement. Die Ecke war verkehrstechnisch recht ungünstig gelegen, was die Mieten bestimmt erschwinglicher machte. Es war Donnerstag, und trotzdem herrschte in diesem Viertel ein sonntägliches Klima. Mir schien, als ließenwir die Woche hinter uns, all das geschäftige Treiben, um in eine Gesellschaft einzutreten, die wie betäubt war.
     
    Wir gingen ins Haus. Als ich unten an der Sprechanlage klingeln wollte, bemerkte ich, dass die Tür zum Hausflur offen war. Das kam mir entgegen. So brauchte ich uns nicht anzukündigen, riskierte nicht, die ganze Überraschung zu verderben. Ich ermittelte, in welchen Stock wir mussten. Im Aufzug fragte meine Großmutter:
    «Willst du mir jetzt immer noch nicht sagen, wo es hingeht?»
    «In zwei Minuten wirst du’s erfahren.»
    «Hier stinkt’s.»
    «Keine zwei Minuten, dann sind wir da. Schau, hier ist es.»
    Ein langer Flur führte zu verschiedenen Wohnungen, ein bisschen wie im Hotel. Das war aber schon das Einzige, was hier an ein Hotel erinnerte. Ich wies meine Großmutter an, sich nicht vom Fleck zu rühren, bis ich die richtige Nummer gefunden hatte. Ich würde dann wiederkommen und sie holen. Der Mann wohnte am Ende des Flurs. Ich fürchtete schon, mein Plan könnte sich als lächerlich erweisen oder auch komplett misslingen. Oder beides. Und auf den letzten Metern vor der Wohnungstür steigerte sich meine Angst, die ganze Chose möglicherweise umsonst arrangiert zu haben. In dem Augenblick, in dem ich schon läuten wollte, raunte ich ihr zu: «Alles klar? Bist du bereit?» Und ich war ziemlich von den Socken, als sie mir entgegnete: «Du erinnerst mich an deinen Großvater.» Einen Moment lang blieb ichwie angewurzelt stehen. Erstarrt in einer unvermittelten Gefühlsregung. Sie hatte recht. Wahrscheinlich hatte ich den Hang zu dieser Art von Blödsinn, den wir gerade anstellten, von ihm geerbt.
     
    Ich drückte den Klingelknopf. Ein paar Sekunden passierte nichts. Funktionierte die Klingel vielleicht nicht? Ich klopfte. Immer noch nichts. Nicht zu fassen, alles für die Katz. Endlich vernahmen wir ein leises Geräusch. Man musste sich konzentrieren, wenn man es hören wollte, und ich sollte gleich verstehen, woher es kam. Der Mann, der uns die Tür öffnete, trug Filzpantoffeln. Ein Pedant ersten Grades in schaurigen Pantoffeln. Und schaurig war auch das Schlurfen, weswegen er gar keine Klingel mehr brauchte. Mit etwas näselnder Stimme fragte er: «Was gibt’s?» Darauf antwortete ich mit dem Satz, der meine Großmutter ganz schön umhauen sollte: «Wir sind sehr große Fans von Ihnen.» Durch diesen schmeichlerischen Beginn anscheinend milde gestimmt, machte er die Tür etwas weiter auf, doch sein Erstaunen verschleierte nicht den Rest eines noch vorhandenen unguten Gefühls. Wir standen also einem alterslosen (sagen wir, er war sich irgendwo zwischen zweiundvierzig und fünfundsechzig abhandengekommen) und riesengroßen Mann gegenüber. Ja, wirklich sehr groß, vielleicht so wie der General de Gaulle. Damit erschöpft sich der Vergleich sicherlich. Der wuchtige Mann mit den großen Augen bekämpfte seine Kahlköpfigkeit, indem er ein paar Locken unbeholfen um die breite Stirn drapierte. Unter der Hülle des schütteren Kolosses offenbarte sich etwasErstaunliches: Man hätte meinen können, er sei derjenige, der vor einer fremden Wohnungstür stand.
     
    Er kratzte sich am Hals, was bedeutete, dass es an mir war, das Wort zu ergreifen:
    «Gnädiger Herr, danke, dass Sie uns hereinlassen.

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