Souvenirs
Angestellte wohl stutzig gemacht, jedenfalls sah sie mich durch die Scheibe hindurch an. Wir lächelten uns verlegen zu. Ich lächelte, weil ich nicht wusste, was ich machen sollte; und sie wahrscheinlich, weil sie nichts zu tun hatte. Da traf mich ein Geistesblitz. Schließlich musste ich Erkundigungen einziehen, so viele Leute wie möglich befragen, um Informationen zu bekommen. Ich hatte noch immer das Foto meiner Großmutter dabei. Das konnte ich ihr doch zeigen, das kostete ja nichts. «Wer nicht wagt, der nicht gewinnt», sagen die Leute immer. Also ging ich wie unter dem Diktat des Sprichworts noch einmal zu ihr hinein. Wir lächelten uns erneut zu, aber diesmal mit einem leicht komplizenhaften Schimmer im Blick wie alte Bekannte.
«Öh … also wenn ich Sie noch einmal stören darf … ich hätte da ein etwas besonderes Anliegen … Ich bin nämlich auf der Suche nach meiner Großmutter …»
«…»
«Hier … ist ein Foto von ihr … vielleicht haben Sie sie ja zufällig schon mal gesehen …»
Sie nahm den Zettel in die Hand und teilte unverzüglich mit:
«Ah ja, die war gestern da. Eine sehr nette Frau.»
«Was?!»
«Wie ‹was›?»
«Haben Sie sie etwa gesehen?»
«Sag ich Ihnen doch. Ich arbeite hier den halben Tag und den anderen halben Tag im Gemeindeamt. Sie hat sicherkundigt, ob das Archiv ihrer alten Schule noch existiert. Sie hat hier in den 1930er-Jahren gelebt, nicht wahr? Das ist sie doch, oder?»
«Öh … ja … Und hat sie Ihnen gesagt, in welchem Hotel sie abgestiegen ist?»
«Im Hôtel des Falaises. Geben Sie mir mal Ihren Plan, ich zeig Ihnen, wo das ist.»
Wie betäubt zog ich von dannen. Meine Fahndung hatte nicht einmal fünf Minuten gedauert, und schon hatte ich meine Großmutter ausgekundschaftet. So leicht konnte das doch nicht gehen. Das konnte nicht sein. So lüftete man doch kein Geheimnis. Das war vollkommen witzlos. Bestimmt würden noch unvorhergesehene Entwicklungen, irgendwelche Probleme auftreten, es musste doch noch etwas passieren. Die Sache war zu Ende, bevor sie richtig angefangen hatte, ich war geradezu enttäuscht. Ich hatte mir vorgestellt, wie ich ermitteln, herumschnüffeln und unauffällig verdächtigen Personen folgen würde, wie ich eine Art moderner Held werden würde, und nun hatte sich das Ganze erledigt, indem ich die erste Frage gestellt hatte. Vielleicht hatte ich mich auch nur geschickt angestellt.
Ich stieg wieder ins Auto. Zirka hundert Meter weiter parkte ich vor dem Hotel. Das Haus wirkte eher bescheiden, aber charmant, und lag etwa fünfzig Meter von den Felsklippen entfernt. Der Herr an der Rezeption fragte mich, was mein Begehr sei.
«Ich wollte meine Großmutter besuchen …»
«Sie sitzt da im Speisesaal …»
Das war tatsächlich seine Antwort, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Man muss dazusagen, es war die niedrigste Saison des Jahres, und meine Großmutter war um diese Uhrzeit der einzige Gast. Ich konnte es immer noch nicht fassen: Durch zwei Fragen hatte ich sie gefunden. Ich bewegte mich ganz sachte auf diesen Speisesaal zu. In einem Kamin knisterten Holzscheite. Jemand hatte die gute Idee gehabt, trotz der milden Temperaturen Feuer zu machen. Englischer Stil, war man versucht zu sagen. Eine reichlich eindrucksvolle Uhr zeigte jede einzelne Sekunde an, bestärkt durch die Arroganz, im Dienste eines Unternehmens zu stehen, dessen Bestand auf ewig gesichert war: die Zeit. Meine Großmutter war die einzige Person im Raum. Ich sah sie von hinten. Nur sie konnte mich nicht sehen. Sie war gerade dabei, einen Tee zu trinken. All die schäbigen Gedanken, die ich gehabt hatte, weil es so einfach gewesen war, sie zu finden, taten mir entsetzlich leid. Ich war so froh, sie wiederzusehen. So wahnsinnig froh. Ein gewaltiges Glück erfüllte mich, mein Herz lächelte den verrückt schillernden Situationen zu, die einem das Leben manchmal schenkt. Dieser Augenblick schien mir von einem mächtigen Zauber durchdrungen. Ich näherte mich ihr ganz leise. Ich fürchtete ein wenig, wie sie reagieren würde: Würde sie sich freuen, mich zu sehen?
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Erinnerungen von Claude Lelouch
Der Regisseur des Films
Ein Mann und eine Frau
hat oft von seinen chaotischen Anfängen erzählt. Sein erster Film
Le Propre de l’homme
war ein desaströser Reinfall. Bei der Vorpremiere wurde gepfiffen und gebuht. Der Vater des Regisseurs erlebte die kollektive Hinrichtung mit und starb wenige Tage darauf. Er schied aus dem Leben, ohne vom
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