Souvenirs
bald lodernden Triumph seines Sohnes zu erfahren, der für
Ein Mann und eine Frau
einige Jahre später in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde. Die Tatsache, dass sein Vater starb, nachdem er ihn auf dem Tiefpunkt seiner beruflichen Karriere gesehen hatte, war schrecklich für Claude Lelouch. Er sagte, er habe damals mit Selbstmordgedanken gespielt. Schlimm war auch, dass
Le Propre de l’homme
für eine vernichtende Kritik in den
Cahiers du cinéma
bekannt wurde: «Claude Lelouch, merken Sie sich diesen Namen gut, denn Sie werden nie wieder von ihm hören!» Das heißt, man soll sich daran erinnern, dass man sich nicht erinnert. Das ist, wie ich glaube, einer der seltenen Fälle, in denen Erinnerung durch ihr Gegenteil ausgelöst wird.
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Ja. Sie schloss mich in ihre Arme und sagte sanft: «Bravo.» Der Ernst der Umstände schien definitiv an ihr vorüberzugehen. Sie war wie ein kleines Mädchen, das mit mir Verstecken gespielt hatte und mir nun gratulierte, nachdem ich sie ausfindig gemacht hatte. Ihr Lächeln versprühte eine gewaltige Portion Charme, ihr saß der Schalk im Nacken. Ihr Gesicht war nicht mehr das gleiche wie zuvor. Ihr Ausflug hatte sie mindestens zehn Jahre jünger gemacht. Im geeigneten Moment musste ich aber dennoch loswerden, dass das keine einfache Situation war, in die sie uns da gebracht hatte. «Keiner von euch hätte mich fahren lassen», gab sie zur Antwort. In dem Punkt hatte sie allerdings recht.
«Ich hätte ja auch mitkommen können. Das wäre einfacher gewesen, als so mir nichts, dir nichts abzuhauen … ohne uns Bescheid zu sagen.»
«Ich wollte mal was allein unternehmen … verstehst du das? Ich halte das nicht mehr aus, dass alles über meinen Kopf hinweg entschieden wird. Ich wollte selbstständig was machen.»
«Na, das hast du jetzt gemacht, keine Frage. Wenn ich daran denke, wie lange du die ganze Aktion geplant hast …»
«Ich hätte dich ja gerne eingeweiht. Aber mir war klar, wenn du erst einmal das aufgelöste Gesicht deines Vatersgesehen hättest, hättest du es doch nicht für dich behalten können.»
«Stimmt. Hätte ich nicht. Und ich kann es auch jetzt nicht für mich behalten.»
«Willst du ihn anrufen?»
«Na klar. Ich muss doch allen sagen, dass sie sich keine Sorgen mehr zu machen brauchen.»
«Na gut. Sag’s ihnen. Aber ich will ein paar Tage hierbleiben. Ich habe Dinge zu erledigen. Wahrscheinlich komme ich zum letzten Mal hierher, wir können uns doch Zeit lassen … bitte.»
Meiner Großmutter schien das meiste leichtzufallen. Daher war ich immer überrascht, wenn sie plötzlich ernst wurde. Und sie war in dem Augenblick furchtbar ernst. Es waren die letzten Tage im Leben einer Frau. Ich rief meinen Vater an, um ihn zu beruhigen. Er sagte mehrmals: «Och, das ist ja wunderbar, du hast sie schon … och, das ist ja wunderbar …» Ich spürte, von so einem Leben träumte er, in dem alle Probleme mit einer Art majestätischer Leichtigkeit geregelt wurden. Und so, wie er diesen Satz immer wieder vor sich hersagte, merkte man auch, dass er dem Verhalten meiner Mutter hilflos gegenüberstand. Mit ihr würde es nicht so einfach gehen. Er hätte in jedes erdenkliche Auto steigen können, alle möglichen Autobahnen abklappern können, die Straßen, die zu seiner Frau führten, waren alle gesperrt. Der Wahnsinn bahnte sich seinen Weg, meine Mutter war nicht mehr aufzufinden. Sie war wie von einem anderen Stern.
Eine kleine Geschichte innerhalb der Geschichte
Die Umstände waren außergewöhnlich, also war die Unterhaltung es auch. Beim Abendessen schilderte mir meine Großmutter ihre Kindheitserlebnisse mit einer Fülle von Details. Es war das erste Mal, dass sie mir gegenüber so ausführlich von ihrer Vergangenheit sprach. Die Erinnerungen schienen in ihrer ursprünglichen Umgebung wieder an die Oberfläche getrieben worden zu sein. Es hatte immer zum Wesen meiner Großmutter gehört, sich schamhaft mit solchen Erzählungen zurückzuhalten, doch an jenem Abend war alles anders. Ich wusste, die Tatsache, dass sie von der Schule abgehen musste, hatte eine Katastrophe für sie bedeutet, aber ich wusste nicht viel über all die Jahre, an deren Ende sie schließlich meinem Großvater begegnen sollte. Nun war ich in der Lage, den Faden des Familienromans zurückzuverfolgen. Der Schwarze Freitag 1929 und die darauf folgende Weltwirtschaftskrise hatte die Familie meiner Großmutter zu fahrenden Händlern gemacht. Sie zog von Stadt zu Stadt und bot
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