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Sozialisation: Weiblich - männlich?

Titel: Sozialisation: Weiblich - männlich? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Hagemann-White
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Tragen kommen. Als Vergleich wäre an das Beispiel bestimmter chemischer Verbindungen zu denken, die von manchen Menschen gerochen werden können, während andere keinen Geruch wahrnehmen, ohne daß sich die Schärfe des Geruchssinnes allgemein unterscheiden würde. Solche sehr spezifischen Fähigkeiten könnten auch im Alltag, beispielsweise in der Schule dazu führen, daß
einzelne
Aufgaben einem Individuum leichter fallen oder schneller gelingen. Die begrenzte Tragweite dieser Fähigkeiten bedeutet jedoch, daß solche Einzelerfolge für sich genommen niemals ausreichen würden, eine generelle Überlegenheit in einem Fach, einer Sportart, oder einem Spiel zu bewirken. Von großer Bedeutung wäre hingegen die Deutung der Einzelerfolge im Rahmen der stereotypen Erwartungen je nach Geschlecht.
Sofern Unterschiede zwischen den Leistungen von Mädchen und Jungen bzw. Frauen und Männern über Einzelaufgaben hinaus feststellbar sind, ist die Größenordnung dieser Unterschiede sehr viel geringer, als in der interpretierenden Literatur meist zur Kenntnis genommen wird. Die meisten Theorien zur Erklärung dieser Unterschiede, vor allem die biologischen Theorien, haben zu wenig beachtet, wie klein die Differenzen sind. Verallgemeinernd kann festgestellt werden, daß die Anlagen und die Bereitschaft zu Leistungen und Verhaltensweisen nicht im strengen Sinne geschlechtstypisch verteilt sind. Das Geschlecht hat kaum Bedeutung gegenüber individuellen Faktoren.
Über den Zeitraum der letzten 30 Jahre ist zu beobachten, daß die empirische Forschung immer weniger Belege für Geschlechtsunterschiede findet. Dies kann einerseits ein erfreuliches Resultat des Abbaus von Vorurteilen sein, welche in der Vergangenheit auf Methoden und Interpretationen Einfluß gehabt haben. Es ist aber außerdem möglich, daß die gleichen gesellschaftlichen Veränderungen, die zu einer methodisch sorgfältigeren Forschung geführt haben, auch in der sozialen Wirklichkeit die vorhandenen Unterschiede verringert haben. In großangelegten und methodisch unveränderten Erhebungen der mathematischen Leistungen von Schülern/innen fand z.B. Flanagan 1975 einen geringeren Unterschied zwischen Mädchen und Jungen als 1960.
(Sherman
1978, S. 59). Die Beziehungen, die Fennema und Sherman zwischen Curriculum und räumlichen und mathematischen Leistungen aufstellen, legen den Schluß nahe: je weniger die „natürlichen“ Unterschiede zwischen den Geschlechtern als Rechtfertigung für den Ausschluß der Mädchen aus „männlichen“ Fächern und Sportarten genommen werden, desto geringer sind die Unterschiede in den feststellbaren Fähigkeiten.
Wichtig wäre vor allem zu betrachten, welches Gewicht jeweils der Vermittlung von eher sprachlichen und eher räumlichen und mathematischen Fähigkeiten zugemessen wird. Es wird oft darauf hingewiesen, daß Behinderungen und Schwierigkeiten beim Lesenlernen und bei der Rechtschreibung häufiger bei Jungen als bei Mädchen vorkommen. Die Schulpädagogik hat eine Fülle von Unterrichtsmethoden zur Begegnung dieser Schwierigkeiten entwickelt: Vor allem bei langsamer Entwicklung der sprachlichen Fähigkeiten wird Förderunterricht erteilt. Sherman meint, man könne die Geschichte der Pädagogik als Geschichte der Bemühungen sehen, männliche Kinder auszubilden, denn gegen Schwäche der räumlichen Fähigkeiten tut die Schule erheblich weniger
(Sherman
1978, S. 172). Zugleich sind die Spiele und Freizeitaktivitäten der Jungen gerade in Richtung auf räumliche Orientierung und Vorstellung ausgeprägt. In Kindergärten und Vorschulen werden die Bausteine schnell als kollektives Eigentum der Knaben definiert. Wie später zu besprechen sein wird, ist dies ein Alter stark emotionaler Besetzung von Geschlechterstereotypen äußerlicher Art; es kann für Erzieher/innen in der Tat schwer sein, dagegenzusteuern. Aufgabe des öffentlichen Schulsystems ist jedoch vor allem, Kindern die Chance zu bieten, das zu lernen, was sie
nicht
schon von Hause aus wissen oder können. Es wäre denkbar, daß die Schule mehr dazu täte, die räumlichen Fähigkeiten zu fördern, die im geschlechtstypischen Spiel der Jungen ohnehin geübt werden. Beispielsweise denkt sich ein Turnlehrer der Grundschule meiner Tochter offenbar überhaupt nichts dabei, in der Turnstunde selbst mit den Jungen Fußball zu spielen, während die Mädchen darauf verwiesen werden, sich allein mit Reifen zu beschäftigen. Die Mädchen mußten massiv protestieren, ehe sie

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