Spademan: Thriller (German Edition)
Leute verpassen den Tag, an dem der Müll abgeholt wird, und schleifen ihn einen Block weiter. Der Gestank in der Küche wird einfach unerträglich. Nicht weiter ungewöhnlich. Diese Witzbolde hatten sich nicht mal die Mühe gemacht, das Zeug bis zu einem zwanzig Meter entfernten Müllcontainer zu schleppen, der einer privaten Entsorgungsfirma gehörte.
Der Name der Firma war auf den Container gedruckt.
Spademan.
Die Säcke im Container waren nicht unser Problem.
Aber diese drei Säcke. Die waren unser Problem.
Theoretisch war unsere Schicht um. Außerdem war weit und breit niemand zu sehen.
Trotzdem klopfte ich zweimal gegen die Seitenwand des Lasters.
Der Fahrer hielt an.
Ich fand, es war unser Job, die Stadt hübsch aussehen zu lassen. Außerdem war ich vor Kurzem erst in dieses Viertel gezogen.
Also räumten wir mal ein bisschen auf.
Ich hob einen Sack auf, schwang ihn über meinen Kopf wie ein Hammerwerfer seinen Hammer. Nur so zum Spaß.
Warf ihn hinten rein.
Den zweiten Sack ließ ich seitlich kreisen wie David die Schleuder, als er Goliath entgegentritt.
Volltreffer.
Dritter Sack.
Ich hob ihn an.
Fühlte sich irgendwie komisch an.
Ich ließ ihn wieder sinken. Langsam.
Und die Wahrheit ist, ich hätte ihn nie geöffnet, wenn ich dieses Gurgeln nicht gehört hätte.
Offensichtlich hatten sie es nicht über sich gebracht. Sie dachten wohl, der Plastiksack besorgt den Rest.
Billige Säcke.
Die reißen immer.
Ich trug immer ein Teppichmesser bei mir, um Problemmüll zu zerschneiden. Kartons, die nicht richtig zerkleinert worden waren, verwickelte Schnüre, solchen Mist.
Ich schob die Klinge heraus. Schnitt den Sack so vorsichtig wie möglich auf. Wie ein Chirurg.
Zog das Plastik beiseite.
Das Baby atmete noch, wenn auch schwach.
Das ist meine witzige Geschichte.
Das erste und letzte Mal, dass ich ein Baby in den Armen hielt.
Keine sechs Blocks vom Long Island Hospital entfernt.
Sie hätten das Baby vor die Eingangstür legen, klingeln und sich dann aus dem Staub machen können.
Stattdessen machten sie ein verlassenes Grundstück zur Mülldeponie. Zum Friedhof. So hatten sie es sich zumindest gedacht.
Sechs Blocks.
Also habe ich den Weg auf mich genommen, der ihnen zu mühsam war.
In einer anderen Version der Geschichte habe ich das Baby adoptiert. Ihm einen Namen gegeben und es gemeinsam mit meiner Frau aufgezogen wie unser eigenes. Als es irgendwann alt genug war, hab ich ihm die Geschichte vom kleinen Moses erzählt, den man im Schilf fand, eine Geschichte, die ich als Kind in der Kirche gehört habe.
Nur – diese Version stimmt nicht.
Ich hab das Baby im Krankenhaus gelassen. Bei einer Krankenschwester. Habe ein paar Fragen beantwortet. Ein paar Formulare ausgefüllt. Bin nach Hause zu meiner Frau gefahren.
Ich hab mich nicht noch mal nach dem Baby erkundigt. Wollte nichts darüber wissen.
Und ich hab auch meiner Stella nichts davon erzählt, bis sie am nächsten Tag in der Post davon las.
Ein paar Tage später folgte dann in der Post ein weiterer Artikel.
Begräbnis des Müllsack-Babys.
Irgendwo im Mittelteil.
Es schaffte es nicht mal auf die Titelseite.
Sie brauchten einen Skandal. Baby in Müllsack ausgesetzt? So eine Story schreit nach einem Bösewicht. Jemand, der den schwarzen Cowboyhut trägt.
Keiner wusste, wer das Baby ausgesetzt hatte. Also blieb nur ich als Sündenbock.
Die Post schrieb, dass ich es gefunden hatte. Es in der Notaufnahme abgeliefert hatte.
Ich hätte nicht genug getan.
Ich wäre nicht mal so lange geblieben, um zu sehen, ob es überleben würde.
Ich nahm sechs Monate Urlaub. Auf Drängen der Gewerkschaft hin. Bei halbem Lohn.
Wöchentliche psychiatrische Untersuchungen.
Tägliche Besuche beim Anwalt.
Nächtliche Albträume.
Doch irgendwann zerriss ich meinen Gewerkschaftsausweis und sagte meinen nächsten Termin beim Seelenklempner ab.
Und ich ging wieder zur Arbeit.
Schließlich musste ja jemand den Schauspielunterricht bezahlen.
Selbst meine Stella verstand es nicht. Nicht wirklich.
Sie redete zwar nicht darüber. Aber ich konnte es spüren.
Auch die Jungs bei der Arbeit. Selbst die Jungs aus meinem eigenen Team. Die Jungs, die mit dabei gewesen waren.
Sie fanden, ich hätte zumindest eine Weile im Krankenhaus bleiben müssen. Das Baby mit meiner ansteckenden Lebensfreude zurück ins Leben holen, so was in der Art.
Vielleicht hatten sie ja recht.
Die Wahrheit ist, ich hatte keine Lust, in einem Wartezimmer zu hocken, bis
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