Spademan: Thriller (German Edition)
ihrem gemeinsamen Eheleben fehlte.
Zu ihrer großen Überraschung hatte sie gar nichts zu bieten, zumindest nicht in meinem Traum.
Aber ich versicherte ihr, mein Konstrukt sei nicht das übliche. Die meisten Menschen zogen irgendeinen billigen Nervenkitzel vor, um ihre Realitätsflucht etwas aufzupeppen.
Nicht viele Menschen verlangen von vorneherein den bodenlosen Abgrund des Nichts.
Sie hatte ihn verloren, erklärte sie mir. Es hatte mit einem geschäftlichen Meeting angefangen, und inzwischen verdämmerte er zehn, fünfzehn Stunden täglich in der Limnosphäre. Er hatte seinen Job an den Nagel gehängt und sich seine Lebensversicherung ausbezahlen lassen. Ihr war klar, dass er dort irgendjemandem begegnet sein musste, irgendeinem Luder, und jetzt wollte er nicht mehr herauskommen.
Luder.
Der Ausdruck stammte von ihr.
Sie hatten sich gestritten. Er hatte ihr Konto sperren lassen. Hatte sie aus der Wohnung geworfen. Er war eingestöpselt gewesen, während die Umzugsfirma ihre Sachen abtransportierte. Die letzten Überbleibsel ihres gemeinsamen Ehelebens, in Kartons und Säcke verpackt wie die Beweismittel von einem Tatort.
Sie verabschiedete sich von ihm, während er still und träumend dalag. Ihre Ehe war schon lange tot. Und jetzt trauerte sie darüber an seiner Seite wie an einem geöffneten Sarg.
Er hatte bereits alle Zugangscodes zu den Bankkonten ändern lassen.
Aber nicht den zu seinem Apartment.
Möglicherweise werden Sie ihn wiedererkennen, fügte sie wie beiläufig hinzu, während wir unseren Tee austranken.
Warum?
Er war eine Zeit lang ständig in den Nachrichten.
Tatsächlich? Weswegen?
Er hat Times Square überlebt. Eine Riesengeschichte. Die lokalen Medien sind völlig übergeschnappt. Titelstory in der Post , drei Tage in Folge.
Ich habe nach Times Square keine Zeitungen mehr gelesen.
Sie erinnern sich also nicht an den glücklichen Fahrgast?
Als ich klein war, hatte mein Vater mit Religion wenig am Hut. Seine Sonntage waren allein dem Football gewidmet, und die Heilige Kommunion fand auf der Couch vor dem Altar des Fernsehers statt. Ohne Messwein oder Oblaten, dafür mit Bier und Pringles. Er arbeite die ganze Woche über hart, meinte er, und wenn der Herr den Sonntag als Ruhetag bestimmt hatte, nun, wer wollte da dem Herrn widersprechen?
Also ruhte er am Sonntag. Und betete. Für die Jets.
Die Familie meiner Mutter war da schon etwas frommer. Sie war seit vielen Generationen römisch-katholisch. Ihre Großmutter war eine schwarz gekleidete, verhutzelte Frau, die beständig etwas über ihrem Rosenkranz murmelte, von unsichtbaren Dingen heimgesucht wurde und Flüche und Gebete ausstieß. Als meine Mutter mit ihrer Familie brach und zur Schule ging, um Krankenschwester zu werden und nicht wie vorgesehen Nonne, brach sie damit das Herz ihrer Großmutter. In meiner Kindheit ging meine Mutter zwar nicht regelmäßig zur Kirche, doch sie hatte den Rosenkranz ihrer Großmutter an ihren Frisiertisch gehängt.
Sie schaffte es, meinen Vater zweimal im Jahr mit in die Messe zu schleifen. An Ostern und an Weihnachten. Wobei er natürlich rechtzeitig zum Anstoß wieder zu Hause sein musste.
Um mich jedoch machte sie sich mehr Sorgen.
Möglicherweise zu Recht.
Jedenfalls schleppte sie mich eine Weile jede Woche zur Sonntagsschule. Fuhr mit dem Wagen am Straßenrand vor, Lockenwickler im Haar. Beugte sich über den Vordersitz, küsste mich auf die Wange und versprach mir, mich an exakt dieser Stelle wieder abzuholen, sobald die Sonntagsschule zu Ende war. Dann sollte ich ihr alles erzählen, was ich gelernt hatte.
Es machte mir nichts aus, ein paar Verse auswendig zu lernen. Ein paar Ave Marias zu beten. Die Erstkommunion zu absolvieren. Was konnte das schon groß schaden?
Allerdings blieb so gut wie nichts davon bei mir hängen. Und sobald ich aus meinem Kommunionsanzug rausgewachsen war, wusste ich Besseres mit meinen Sonntagen anzufangen, und meine Eltern beschwerten sich nicht mal allzu lautstark darüber.
Folglich kann ich mich kaum an die Kirche erinnern. Nur an ein paar Geschichten. An die merkwürdigen Gleichnisse.
Der ölige Geruch nach Weihrauch, der in einem Fass am Ende einer Kette geschwungen wurde.
Doch es gab da eine Sache, die großen Eindruck bei mir hinterlassen hatte.
Dieser verzierte Kasten ganz vorne im Kirchenschiff. Nahe beim Altar.
Der Reliquienschrein.
Es war die leichteste Sache der Welt, ein bisschen so, als würde man Pizzas ausliefern.
Wie angekündigt,
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