Spademan: Thriller (German Edition)
war das Apartment leer – bis auf ihn, der schlafend in seinem Bett lag.
Die Sensoren summten. Die Monitore brummten.
Ein frischer Beutel mit Nährlösung hing an einem Infusionsständer.
Er war nicht sonderlich alt, vielleicht Ende dreißig, ein kräftiger Mann und auf ähnliche Art attraktiv wie seine Frau. Makellos gekleidet bis hin zu dem seidenen Einstecktuch, das jeden Tag von seinem Personal neu zurechtgerückt wurde. Ein palastartiges Apartment, geschmackvoll eingerichtet, im obersten Stockwerk, Panoramablick über den Fluss.
Die Fantasie eines jeden Immobilienmaklers. Für die meisten anderen nur ein unerfüllbarer Wunsch.
Und hier war er. Verloren in seinem Traum. Gerahmte Fotos des glücklichen Ehepaars waren zur Erinnerung immer noch überall aufgestellt.
Und an den Wänden gerahmte Titelseiten.
Aufgehängt wie Trophäen.
Post. Daily News. Times. USA Today.
Der Anwalt, breit lächelnd, hob seine rechte Hand. Die Finger gespreizt.
Fette Schlagzeilen posaunten es hinaus.
Schicksal verschont den glücklichen Fahrgast.
Der Name des Anwalts, so erfuhr ich aus den Artikeln, war Charles Pierce.
Jetzt, wo ich das alles las, erinnerte ich mich tatsächlich an ihn.
Allerdings nicht an die Schlagzeilen, sondern an die Werbeplakate überall in der Stadt.
Der glückliche Fahrgast und seine berühmten glücklichen Finger.
Der Reliquienschrein in der Kirche wurde immer besonders ehrfurchtsvoll behandelt und aufs Sorgfältigste gepflegt. Nie geöffnet, egal was geschah. Selbst wenn man höflich darum bat, nur mal einen kurzen Blick reinwerfen zu dürfen.
Eines Tages fragte ich schließlich meinen Sonntagsschullehrer, was denn eigentlich so toll daran war.
Er sah mich an, und seine Miene wurde plötzlich ganz ernst.
Dieser Schrein enthält den Staub der Knochen von Heiligen.
Echt? Ist er so was wie ein Sarg?
Nicht unbedingt. Mehr ein heiliger Ort, um Dinge aufzubewahren, die von Gott berührt wurden. Damit wir alle davon beseelt werden und an Seiner Kraft teilhaben.
Also so was wie Andenken, sagte ich.
Keine Andenken, erwiderte er. Reliquien.
Charles war die Stufen der U-Bahn-Station an der Wall Street runtergehastet, um den Expresszug der Linie 2 in Richtung Uptown zu erwischen.
Im Eingangsbereich kam er nicht weiter.
Das Drehkreuz klemmte.
Er zog seine U-Bahn-Karte durch den Kartenleser. Zweimal. Dreimal.
BITTE VERSUCHEN SIE ES ERNEUT.
Die U-Bahn wartete mit offenen Türen.
BITTE VERSUCHEN SIE ES ERNEUT.
BITTE VERSUCHEN SIE ES ERNEUT.
BITTE VERSUCHEN SIE ES AN DIESEM DREHKREUZ ERNEUT.
Diese bescheuerte Karte – ich krieg das Ding nicht – funktioniert denn überhaupt mal irgendwas in dieser beschissenen –
Ein zweifaches Tonsignal ertönte und die Türen der U-Bahn schlossen sich.
Charles Pierce zog weiter seine Karte durch den Schlitz.
Fluchte.
Aus voller Lunge.
Diese gottverdammte Scheißstadt –
Das Drehkreuz wollte sich einfach nicht öffnen.
Charles Pierce stand schäumend vor dem gelangweilt dreinblickenden U-Bahn-Aufseher und stieß mit dem Zeigefinger wütend in Richtung der Plexiglasscheibe, während der Uptown-Express aus der Station glitt. Die roten Rücklichter verschwanden in der Dunkelheit.
Er stand noch immer stinksauer und kochend vor Wut auf dem Bahnsteig, als plötzlich der Boden unter ihm bebte und ein dumpfes, gelangweiltes, weit entferntes Grollen aus dem Tunnel drang.
DER GLÜCKLICHE FAHRGAST.
So wurde er in allen Schlagzeilen bezeichnet.
Um Magnetkartenbreite dem Tod entronnen.
Keine Ahnung, warum Gott beschlossen hat, ausgerechnet mich zu verschonen.
Diesen Satz gab er immer wieder zum Besten, wobei er mit den Achseln zuckte, als hätte man ihn soeben heiliggesprochen.
Der Satz wurde in zahllosen Artikeln wiederholt. Immer und immer wieder zitiert.
Auf der Gästecouch in der Today - Show.
Ehrlich, ich habe keine Ahnung, warum Gott mich auserwählt hat, Lorelei.
Die Talkshowgastgeberin nickt mitfühlend. Schlägt die langen Beine übereinander.
Er hält seine rechte Hand hoch.
Diese Hand – in dieser Hand hielt ich die Magnetkarte. Ich weiß nicht, warum mich Gott verschont hat, Lorelei. Aber ich denke, er muss etwas Besonderes mit mir vorhaben.
Er schluckt vor Rührung. Ein gut einstudierter Akt. Seine Stimme versagt bei dem Wort Besonderes , und zwar jedes Mal.
Lorelei nickt. Ihre Hand auf seinem Knie. Schnitt auf den Werbeblock.
Er war an diesem Tag natürlich nicht der Einzige mit so einer Geschichte.
Eine Menge Menschen starben.
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