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Späte Familie

Späte Familie

Titel: Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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und dem Schimmelgeruch, der aus der Erde aufsteigt und in der klaren Luft hängen bleibt. Dieses ganze Jahr habe ich gehofft, zu keiner Ausgrabung gerufen zu werden, und jetzt warte ich ungeduldig darauf, denn der Winter geht zu Ende, verschwindet langsam von der Erde, wird inschmale Stücke gerissen, und zwischen ihnen blitzen die unterirdischen Triebe der noch nackten Bäume.
    Eine fieberhafte Anspannung erfüllt mich in den letzten Wochen des Winters, die Gewissheit der Veränderung, die auf mich zukommt, ich habe keine Möglichkeit, ihr auszuweichen, ich will ihr auch nicht ausweichen, denn der gedämpfte nagende Hunger, der Schatten allen Verliebtseins, wächst und bekommt die klare Form eines gemeinsamen Lebens, man wird die wenigen Stunden Freizeit nicht mehr auf zwei Wohnungen verteilen müssen, denn inzwischen haste ich von einer Wohnung in die andere, wie ein Kind, dessen Eltern sich getrennt haben, ich passe mich bei meinem Hin und Her den Wanderungen Gilis an, den Wanderungen Majas und Jotams, das sind die Wanderungen der heutigen Nomaden, die Kinder geschiedener Eltern, die die Herden ihrer Spielsachen mittags von Haus zu Haus bringen, von der Mutter zum Vater und wieder zurück. Für mich selbst bleiben nur die freien Tage, die immer weniger werden, denn Amnon ist plötzlich sehr beschäftigt, erstaunlich beschäftigt, und Michal, sogar die Buchstaben ihres Namens wecken in mir ein Gefühl der Bedrückung, Michal leidet fast jeden Tag an Migräne und drückt sich vor ihren Kindern, es sieht so aus, als hätten sich die beiden gegen uns verbündet, und zwischen all unseren Aufgaben suchen wir hastig nach Nähe, beklagen schon im Voraus die erneute notwendige Trennung, und es scheint, dass ein Tag nach dem anderen in dem funkelnden Punkt eines hastigen Treffens gipfelt, und nur das Bedürfnis, all diese Funken zu sammeln, treibt uns von einem Moment zum nächsten.
    Meine Wohnung kommt mir plötzlich wie ein Durchgangslager vor, ein Rollladen im Wohnzimmer ist kaputtgegangen, und ich mache mir nicht die Mühe, ihn zu reparieren, der Wasserhahn tropft, die Halogenlampe ist durchgebrannt,und ich habe das Gefühl, als sei das alles schon nicht mehr meine Sorge, sondern die des Menschen, der nach mir hier wohnen wird, denn Gili und ich werden endlich in die neue Wohnung ziehen, die uns schon erwartet, und dort werden sich alle Funken vereinen, dort werde ich mich nach der größten Nähe nicht wieder von ihm trennen müssen, dort werde ich nicht wählen müssen zwischen der Zeit mit ihm und der Zeit mit Gili, unter einem Dach werden meine beiden Lieben leben, und das Bedürfnis danach ist offenbar so einfach zu erfüllen, es ist nur ein Umzugswagen zu bestellen, das Sofa und die Sessel einzuladen, die Kleider, das Geschirr und die Bücher, Gilis Bett, sein Schrank und auch die drei Nachtlichter, zu seiner Beruhigung wird sein ganzes Zimmer mit uns umziehen, bis hin zum letzten Spielzeug, als würde der Junge zu Hause einschlafen und durch ein Wunder morgens anderswo aufwachen, ohne einen Unterschied zu empfinden, und trotzdem zögere ich, wie jener Schlüssel, der mitten in der Bewegung stecken blieb und sich nicht mehr vor- oder zurückdrehen ließ.
    Komm schon, du bringst uns mit deinen Zweifeln ganz durcheinander, sagt er, als wir uns beide in unseren eigenen Wohnungen befinden, neben den eigenen schlafenden Kindern, und trotz der kurzen Entfernung hört sich seine Stimme durch das Telefon schwach und dumpf an, wir könnten ab sofort zusammen sein, was bringt uns dieses Doppelleben, mach dir doch nicht solche Sorgen, sagt er, ich habe keine Angst vor Problemen, ich habe nur Angst vor deinen Sorgen, worauf wartest du eigentlich? Und auch ich weiß nicht genau, worauf ich warte, schließlich ist mir klar, dass der Umzug stattfinden wird, und trotzdem weckt der Gedanke, dass vor meinem Haus ein Umzugswagen stehen wird, Trauer in mir, als wäre dies ein unvergleichlich schmerzender Anblick.
    Die Kinder haben sich noch nicht damit abgefunden, sage ich, aber er lässt meine Worte nicht gelten, sie werden sich daran gewöhnen, ich habe genug von dem Theater, das wir ihnen vorspielen, wir sind beide schlechte Schauspieler, man muss einfach ins kalte Wasser springen, sagt er, dieses ganze Zögern schadet nur, du machst mich unsicher, am Schluss wirst du mich noch überzeugen, dass wir es nicht schaffen, ist es das, was

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