Späte Familie
man schon die herzzerreiÃende Sirene, die Kette des Leidens reiÃt nicht ab, und ich leiste laut den Treueschwur, vor dem Wipfel des toten Baumes, der grau ist wie Rauch, vor dem schlafenden Kind, ich, Ella Miller, Tochter von David und Sarah Goschen, verpflichte mich hiermit, vor Gott und den Menschen, vor Bäumen und Steinen, wenn Amnon heil und gesund zurückkehrt, werde ich ihn wieder ins Haus lassen, ich werde ihn bereitwillig empfangen und mit ihm als seine Frau leben, solange er es will, ich verpflichte mich, ohne Zögern meine Absichten fallen zu lassen und zu begraben und sie nie wieder ans Licht zu holen, nicht in Gedanken und nicht in Worten.
5
In Gedanken sitze ich jetzt in seiner voll gestopften Einzimmerwohnung, in die er damals gezogen war, und lese voller Interesse den schriftlichen Ausgrabungsbericht über die Keramikstücke, die man im Schutt von Tel Jesreel gefunden hat und die den Funden aus der Palaststadt Megiddo gleichen, Tonscherben, deren Bedeutung sich nicht abschätzen lässt, die beweisen, dass das groÃartige und strahlende Königreich Davids und Salomos nichts anderes war als ein kleines Stammesreich, denn es war nicht Salomo, der diese Städte erbaut hat, sondern die Könige des Hauses Omri, und er lächelt mich an, vielleicht werde ich erzählen, wie ich dich dort gefunden habe, sagt er, du bist meine wichtigste Entdeckung, ein minoisches Wandbild, das im Land Israel zum Leben erwacht ist, eine viertausend Jahre alte Frau.
Nicht rangehen, flüstere ich, als das Telefon neben dem Bett klingelt, aber es zerrt mich in die Wirklichkeit dieses Morgens, und ich springe aus dem Bett und greife nach dem Hörer, erkenne enttäuscht Gabis Stimme, und er sagt in geheimnisvollem, stolzersticktem Ton, als hätte er einen Orden für Geisteskraft und Aufopferung erhalten, alles in Ordnung, Ella, ich habe ein Lebenszeichen von ihm bekommen.
Gott sei Dank, ich atme erleichtert auf, wo ist er? Und Gabi gluckst vor Ãberheblichkeit, feiert seinen Vorteil mir gegenüber, das ist egal, er möchte, dass das unter uns bleibt, ich wollte dir nur sagen, dass es ihm gut geht, und sofort versuche ich, ihn zu dämpfen, siehst du, deine Hysterie warmal wieder unbegründet, wie immer, und er faucht, wenn man jemanden liebt, macht man sich Sorgen um ihn, vermutlich hast du das schon vergessen, und ich sage, und du hast vergessen, dass Amnon vor allem sich selbst liebt und dass er der Letzte ist, der sich etwas antun würde.
Er seufzt, es reicht, Ella, ich habe heute Morgen nicht die Energie, mit dir zu streiten, du kannst dich freuen, dass du dich jetzt auch von mir trennst, seine nächste Frau wird mich ertragen müssen, nicht mehr du. Ich versuche meine Neugier zu unterdrücken und frage mit gespielter Gleichgültigkeit, was, hat er schon eine Neue? Gabi kichert, das habe ich nicht gesagt, nur dass du, wenn du dich von ihm trennst, auch mich verlierst, und das bedauert keiner von uns, und ich bemühe mich um einen freundlicheren Ton, obwohl ich das starke Bedürfnis verspüre, das Gespräch, das so sehr unseren früheren gleicht und trotzdem erschreckend anders ist, zu beenden. Gabi, hör zu, ich muss wissen, wo er ist, ich brauche zumindest seine Telefonnummer, sein Handy ist ausgeschaltet und Gili möchte mit ihm sprechen, und er spielt sich wieder auf, genieÃt jedes Wort, SüÃe, ich würde dir die Nummer gern geben, aber Amnon hat mich ausdrücklich gebeten, es nicht zu tun, er will nicht mit dir sprechen, was soll ich machen, mein Einfluss auf ihn hat seine Grenzen.
Du übertreibst, Gabi, zische ich, er hat einen Sohn, Gili sehnt sich nach ihm, gestern hat er den ganzen Morgen versucht, ihn anzurufen, und Gabi stöÃt einen heuchlerischen Seufzer aus, was soll ich dir sagen, Ella, darüber hättest du vorher nachdenken müssen, man kann nicht den Vater hinauswerfen und zugleich erwarten, dass er jederzeit für seinen Sohn verfügbar bleibt. Ich glaube nicht, dass du in der nächsten Zeit auf Amnon zählen kannst, aber du hast schlieÃlich immer gesagt, dass du Gili allein aufziehst, wasmacht das also schon für einen Unterschied, du bist doch daran gewöhnt, oder? Und ich fauche in den Hörer, du elender Intrigant, was hast du nicht alles getan, um es uns zu verderben, und lege den Hörer auf, um jede Erinnerung an das Gespräch auszulöschen, aber in meinem Kopf geht es weiter und
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