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Späte Familie

Späte Familie

Titel: Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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gegeben, und ein paar Augenblicke lang bin ich begeistert, als wäre alles wieder in Ordnung, ich stelle mir vor, wie er nach Hause zurückkehrt, natürlich werde ich ihm beim Packen helfen, wir werden die wenigen Sachen, die er mitgenommen hat, zurückbringen, die Bücher ins Regal stellen, seine Kleidungsstücke in denSchrank räumen, und wenn Gili am Morgen aufwacht, wird sein Vater schon zu Hause sein, wie früher, und dieser Monat der Trennung wird uns wie eine ernstzunehmende Mahnung vorkommen, wie eine drohende Wolkensäule, bis wir die Erinnerung daran nicht mehr brauchen, weil wir so glücklich sind.
    Und vor lauter Sehnsucht nach dem Glück und vor lauter Angst davor fürchte ich mich, meine Kraft auf die Probe zu stellen, warte auf die passende Stunde, auf die richtige Zeit, auf den richtigen Ort, und mir scheint, ich müsse bis in alle Ewigkeit warten, denn den wirklichen Amnon, den Mann mit dem schwerfälligen Körper und dem schönen, offenen Lachen habe ich seit jenem Freitag nicht gesehen, seit der Schabbatfeier, als Gili uns hinter sich herzog und ich im Ton seiner neuen Lehrerin laut und entschieden sagte, Papa kommt nicht mit uns rauf, Gili, er geht jetzt, morgen wird er kommen und dich für ein paar Stunden abholen. Diese Worte sind grob ausgesprochen worden, hartherzig, böse, und seither weicht er mir aus, holt Gili von der Schule ab, begleitet ihn nur bis zur ersten Treppenstufe, übermittelt über ihn knappe Nachrichten, als wäre sein Sohn eine Brieftaube, Papa holt mich diese Woche am Sonntag ab, nicht am Montag, am Mittwoch und nicht am Donnerstag, und ich frage mich verwundert, wie lange er sich drücken kann, bis zu Gilis nächstem Geburtstag, vielleicht auch noch länger, bis zu seiner Bar-Mizwa, bis zu dem Tag, an dem er zum Militär eingezogen wird, und vielleicht wird er mir für immer ausweichen und ich werde für immer zögern, aber eines Tages teilt mir Gili, als er nach Hause kommt, stolz mit, Papa lässt dir ausrichten, dass er mich am Freitag von der Schule abholt und dass ich bei ihm schlafe, er hat ein Bett für mich gekauft und es ist schon geliefert worden, und da weiß ich, dass dies der richtige Abend sein wird, wenn Giliim Nebenzimmer schläft, mit offenem Mund und einem bisschen Spucke, die auf sein neues Kissen rinnt, sein Schlaf schreit geradezu nach einer sicheren Familie, er wird es mir nicht abschlagen können.
    Wo ist Papas neue Wohnung genau, frage ich mit süßer Stimme, so ganz nebenbei, ist sie weit von hier? Und Gili sagt, nein, nicht richtig weit und nicht richtig nah, man muss ein bisschen mit dem Auto fahren, und ich frage, wie sieht die Straße aus, und er sagt, so eine ganz normale Straße, wie hier, mit Bäumen und mit Häusern, und ich schlage vor, vielleicht versuchst du, das Straßenschild zu lesen, und sagst mir dann, welche Buchstaben darauf stehen, und er protestiert, das ist noch zu schwer für mich, und schon erfinde ich ein neues Spiel für ihn, ein Rätsel mit kleinen Belohnungen, und wir machen lange Spaziergänge durch das Viertel, während er versucht, die Straßennamen zu entziffern, und ich erkläre ihm alles genau, übe mit ihm Lesen und sich auf den Orientierungsmärschen zurechtzufinden, ihm gefällt das Spiel, aber bei seinem nächsten Besuch bei Amnon hat er es schon vergessen, und ich bin ratlos, denn um das Herz seines Vaters zu erweichen, muss ich vor ihm stehen, und plötzlich kommt mir das ganz unmöglich vor. Der Kontakt zu unseren Freunden aus der Familienzeit ist abgerissen und Gabi kann ich natürlich nicht fragen, und so stehe ich vor einem seltsamen Hindernis, ich habe mir genau überlegt, was ich sagen und was ich anziehen will, ich kenne jedes Detail des Aufeinandertreffens, nur nicht den Ort, an dem es stattfinden soll, und trotzdem will ich nicht darauf verzichten, ich beschließe, ihnen heimlich zu folgen, wenn Amnon Gili am Freitag abholt und mit ihm zu der neuen Wohnung fährt, zum ersten Wochenende ohne mich.
    Ich sitze mit gesenktem Kopf in Dinas kleinem Auto neben dem Schultor, mit einer Sonnenbrille auf der Naseund einem hellen Strohhut auf dem Kopf, und warte. Vor mir und hinter mir warten andere Autos, die jetzt noch leer sind, sich bald aber mit fröhlichen Kindern füllen werden, die begeistert und verschwitzt in den Schoß der Familie zurückkehren. Mütter und Väter tauchen auf, die

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