Späte Familie
ich bitte dich, jetzt zu gehen, bevor ich dir Dinge sage, die mir später Leid tun werden.
Lass mich Gili noch einen Kuss geben, bitte ich, und er verweigert es mir, auf keinen Fall, ich möchte nicht, dass er aufwacht und noch einmal anfängt, Probleme zu machen, ich bringe ihn morgen Abend zu dir zurück, du musst dich bis dahin gefangen haben, es ist nicht gut, wenn er dich so sieht, und an der Tür schmiege ich mich wieder an ihn, diesmal gibt er nach und legt die Arme um mich, sei stark, sagt er mit einer warmen, ermunternden Stimme, alles wird gut, du wirst schon sehen, ich kenne dich, du erschrickst schnell, aber du erholst dich auch schnell wieder, als ob er der Bruder wäre, den ich nie gehabt habe, als ob er ein vertrauterFreund wäre, ein mitfühlender Vater, und ich lehne mich an den Türrahmen und verabschiede mich von der Wohnung. Ich mache einen letzten Versuch, vielleicht sollte ich nur heute Nacht hier auf dem Sofa schlafen und morgen ganz früh wieder gehen, ich kann jetzt schlecht allein sein, und er seufzt, auf gar keinen Fall, Gili könnte aufwachen und dich sehen, das würde ihn durcheinander bringen, geh jetzt, und mit einer festen Bewegung schiebt er mich hinaus, macht das Licht im Treppenhaus an und schlieÃt hinter mir die Tür zu seinem neuen Leben, ich laufe die Stufen hinunter, die hölzernen Beine, die unter mir gewachsen sind, tragen kaum das Gewicht meines Kummers und meiner Enttäuschung, wieder bleibe ich vor seinem Briefkasten stehen, das hochmütige Schild provoziert mich mit seinem schwarzen Rahmen, Amnon Miller, und ich strecke die Hand aus und reiÃe es heraus, zerfetze den Karton in kleine Stücke, damit keine Erinnerung zurückbleibt.
Ich gehe zwischen den Palmen hindurch, die wie die beiden Türme vor der Front des kanaanäischen Tempels in Megiddo dastehen, in der Gedenkstätte des Heiligtums, das zerstört und nicht wieder aufgebaut wurde, wobei die Stadt selbst Dutzende von Malen zerstört und wieder aufgebaut wurde. Die Papierfetzen fallen mir aus der Hand, einer nach dem anderen, während ich langsam weitergehe, ein Jahrzehnt scheint vergangen zu sein, vor einer Stunde wurden meine Schritte noch von Hoffnung getragen, und jetzt ist die Hoffnung weggewischt, meine Schritte sind leer und ohne Bedeutung. Hätte ich an jenem Morgen doch auf meinen Vater gehört, wäre ich zu ihm zurückgegangen und hätte einen Bund für immer geschlossen, dann würden wir jetzt ruhig zu Hause liegen und Gili würde in seinem Zimmer schlafen, in seinem Bett, und morgen würden wir mit Talja und ihrem Mann zu einem Picknick in die Berge fahren,wir würden für die Kinder Meerzwiebeln und Herbstzeitlose suchen und Gili würde mit Joâav sorglos über die Felsen springen, er wäre wie alle anderen auch, kein AuÃenseiter. Mit jedem Schritt wächst mein Fehler, schwillt an, wie eine Katastrophe, deren Ausmaà man erst im Lauf der Zeit erkennt.
Was ist, wenn ich jetzt zu ihnen laufe, wenn ich sie wecke und schreie: Hilfe, rettet mich, Papa und Mama, schaut, was ich getan habe, wie damals an meinem Geburtstag, als ich fünf war, sie hatten einen groÃen Tisch im Hof vorbereitet, mit einer weiÃen Tischdecke und beladen mit SüÃigkeiten, nur einmal im Jahr erlaubten sie mir, SüÃigkeiten zu essen, nur an meinem Geburtstag, und ich saà aufgeregt dort und wartete auf meine Freunde, und gegen meinen Willen ging ich zum Tisch, mein kindliches Herz pochte vor Aufregung, ich betrachtete die verführerischen Teller und streckte die Hand aus, bis der Zucker an meinen Fingern kleben blieb, nahm einen blumenförmigen, mit roter Marmelade bestrichenen Keks und hielt ihn an die Nase und dann an den Mund, nur um daran zu lecken, und der verbotene süÃe Geschmack drang in mich ein, und ich biss ein Stück ab, und noch ein Stück, bis ich plötzlich von HeiÃhunger gepackt wurde und mich nicht mehr beherrschen konnte, dahin und dorthin streckte ich meine Hand, es war, als wären mir plötzlich viele Hände gewachsen, viele Münder, und ich aà Schokoladenwürfel, Waffeln, Karamellbonbons, Gummischlangen und Marmeladenschnitten, bis die Teller fast leer waren und sich unter dem Tisch zerrissene Einwickelpapierchen sammelten und angebissene SüÃigkeiten, und dann streckte ich meine schmutzigen Hände nach der prachtvollen Geburtstagstorte aus, einer Schokoladentorte mit
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