Späte Reue: Josef Ackermann – eine Nahaufnahme (German Edition)
gleich dahinter die Autobahn in Richtung Tessin und Italien. Wenige Kilometer weiter südöstlich gabelt sie sich und führt entlang der Liechtensteiner Grenze im Rheintal auch nach Norden Richtung Bodensee und Deutschland, das eine knappe Stunde entfernt ist. Wer Mels einmal besucht hat, versteht sofort, warum es einen begabten, ehrgeizigen jungen Mann wie Josef Ackermann von hier weg hinaus in die Welt gezogen hat.
Dabei ergeht es ihm ganz anders als der berühmten Romanfigur »Heidi« aus den Erzählungen der Schriftstellerin Johanna Spyri, die in den wildromantischen Bergen des Sarganserlands spielen, weswegen die ganze Gegend auch »Heidiland« heißt. Das Waisenkind, von einer Tante in die ferne Großstadt Frankfurt am Main geholt, leidet dort so sehr an Heimweh, dass es nicht mehr richtig isst und zurückgeschickt werden muss. Der reale »Seppi« dagegen findet als »Joe« Ackermann in just derselben Stadt die (berufliche) Erfüllung seines Lebens.
Er kommt ja auch nicht aus den Bergen und ist kein Waisenkind. Ganz im Gegenteil. Die große Lebensgemeinschaft im Drei-Generation-Haushalt in der Talgemeinde Mels vermittelt ihm Familiensinn, das Gefühl der Geborgenheit und das Urvertrauen, das für seinen späteren Erfolg von entscheidender Bedeutung sein wird. Besonders die Großmutter, eine warmherzige, fröhliche Frau, hat daran großen Anteil. Weil Mutter Margrith in der Praxis ihres Mannes mitarbeitet, hilft sie bei der Betreuung der Kinder. »Ich wusste immer«, so Josef Ackermann, »wenn mir mal etwas ganz Schlimmes passieren sollte, würde ich nicht ins Leere fallen. Das hat mich sehr frei gemacht. Und sicher auch mutiger.«
Dieses Urvertrauen verleiht dem Chef der Deutschen Bank die Kraft und Abgeklärtheit, beinahe die Hälfte seiner Amtszeit mit einer drohenden Verurteilung im Mannesmann-Prozess zu leben und sein Haus in einem Parforce-Ritt zugleich in die Spitzengruppe der globalen Investmentbanken zu führen. Und dieses Urvertrauen ist es auch, das ihn trotz mancher Selbstzweifel in die Lage versetzt, jahrelange Dauerkritik und persönliche Anfeindungen bis hin zu Morddrohungen und einem Attentatsversuch wegzustecken, ohne an Leib und Seele ernsthaft zu erkranken.
Ein hohes Maß an Disziplin und eine außerordentliche körperliche Robustheit kommen hinzu. »Seppi« hat die physische Konstitution seines Großvaters, eines Vorarbeiters bei den Schweizer Bundesbahnen, geerbt: kräftig und untersetzt, stabil und langlebig wie ein Eichenschrank. Als Jugendlicher ist er ein guter Leichtathlet und hervorragender Speerwerfer. Deutschlands beste Athleten in dieser Sportart werden ihm später einmal zum Abschied von der Deutschen Bank als Zeichen des Dankes für seine Unterstützung der Deutschen Sporthilfe einen signierten Speer schenken. Er schmückt heute sein Büro bei der Zürich-Versicherungsgruppe.
Schon in jungen Jahren, ob auf dem Sportplatz oder im Pfadfinderlager, zeigt sich Josef Ackermanns Führungsnatur. »Als Ältester lernt man früh, Verantwortung zu übernehmen«, lautet seine eigene Erklärung dafür. »Außerdem haben die Leute im Dorf auf uns geschaut. Als Kinder des Arztes mussten wir Vorbild sein.«
Das Vorbild lebt ihnen der Vater vor. Mit Zielstrebigkeit, Disziplin, Fleiß und Ehrgeiz ist ihm der Aufstieg gelungen. Als eines von acht Kindern hat er es als Erster in der Familie zu einem Hochschulabschluss und ansehnlichem Wohlstand gebracht. Sein Medizinstudium verdient er sich unter anderem als Viehhüter.
Mit denselben Tugenden geht er nach der Approbation dem Arzt-Beruf nach. Er arbeitet hart, verdient gut, aber lebt sparsam und bescheiden. Bis 21 Uhr am Abend hält er Sprechstunden ab, auch in der Nacht und bei jedem Wetter bricht er zu Krankenbesuchen auf. Josef Ackermann erinnert sich, dass er so manches Mal mit raus musste, wenn es nachts unter der Telefonnummer 2 12 65 geläutet hat. Kommt der VW Käfer des Vaters auf der steilen Straße hinauf nach Weißtannen im Winter nicht mehr recht voran, stellt er sich auf die hintere Stoßstange, um den Rädern mehr Griff zu verschaffen. »Zur Belohnung durfte ich oben den Wagen wenden.« Bei den Patientenbesuchen gibt es viel zu lernen, nicht nur über praktische Physik auf rutschiger Straße, übers Gipsen, Verbandanlegen und Zähneziehen, sondern auch, Vertrauliches vertraulich zu behandeln.
Die Werte, die für Karl Ackermann zählen, sollen auch seinen Söhnen wichtig werden: Wer etwas fordert, muss zuerst etwas leisten. Ohne
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