Späte Reue: Josef Ackermann – eine Nahaufnahme (German Edition)
horchen auf. Noch während er spricht, merkt der Schweizer, dass in seinen Worten eine unerwartete Dringlichkeit mitschwingt, und versucht sie wieder einzufangen: Das sei aber »aktuell noch nicht akut«.
Zu spät! Schon wenige Minuten danach läuft die Schlagzeile über den Reuters -Ticker: »Deutsche Bank will Ackermann-Nachfolge früh klären«. Der Vorstandsvorsitzende bekommt die Meldung auf dem Podium sofort vorgelegt und unternimmt erneut einen Versuch, das Gesagte ungesagt zu machen: Man habe ihn da offensichtlich missverstanden, es gehe bei den Gesprächen nicht etwa um einen Wechsel vor der Zeit, sondern nur um den Fahrplan bis hin zum Wechsel.
Aber nachdem der Schweizer schon vor einem Jahr vorzeitig gehen wollte, glaubt keiner mehr so recht, dass er tatsächlich bis 2013 bleibt. Alle nehmen an, dass er sich ein Jahr früher verabschiedet. Dass also bis zur nächsten Hauptversammlung die Nachfolgefrage geklärt werden müsse. Für 2011 hat Ackermann bereits die neue Rekordmarke von zehn Milliarden Euro Gewinn vor Steuern im operativen Geschäft vorgegeben. Die Vermutung liegt nahe, dass dies der Schlussakkord für seine dann zehnjährige Amtszeit sein soll. Diese Erwartung hat er mit seiner Bemerkung jetzt bestätigt und damit genau das ausgelöst, was er stets partout vermeiden wollte: eine lange, quälende Nachfolgediskussion.
Es ist wieder einer dieser Momente: Warum sorgt Josef Ackermann immer wieder für Aufregung und Missverständnisse? Das V-Zeichen, die Zweifel an den Selbstheilungskräften der Märkte, der Schämen-Satz, der »wunderschöne Abend« im Kanzleramt? Und jetzt das?
Die Erklärung ist einfach: Keinen Wirtschaftsführer haben die Medien hierzulande auch nur annähernd so intensiv verfolgt wie den Schweizer. Niemand aber kann unter Dauerbeobachtung tagein tagaus, jahrein jahraus hochkonzentriert sein. Wer ständig in schwerer Rüstung unterwegs sein muss, um sich gegen die Pfeile von Konkurrenten und Widersachern zu schützen, braucht immer mal wieder eine Pause, in der er das Visier hochklappen und durchatmen kann. Oder, wie es Manfred Pohl, der frühere Haushistoriker der Bank, in seiner Biographie (»Josef Ackermann – Leistung aus Leidenschaft«) über den Schweizer formuliert: »Auch Lionel Messi verschießt gelegentlich einen Elfmeter.« Wenn man dies bedenkt und wie turbulent die Zeiten waren, zeugen eine Handvoll Ausrutscher, missverständlicher oder kontroverser Äußerungen während einer ganzen Dekade an der Spitze einer so wichtigen Institution wie der Deutschen Bank von großer Disziplin.
Hinzu kommt: So berechenbar und verlässlich der Schweizer normalerweise ist, von Zeit zu Zeit geht die Spontaneität mit ihm durch, die im Sternzeichen des Wassermann Geborenen gerne nachgesagt wird. Anke Leise und Beate Schnabel, seine beiden langjährigen Sekretärinnen, die ihn wie wenige andere kennen, beschreiben ihn übereinstimmend als »Freigeist«.
Einmal liest Josef Ackermann in der Zeitung vom Wunsch eines Schülers, ihn in seinem Büro besuchen zu können. Der Bankchef sorgt spontan dafür, dass der Wunsch in Erfüllung geht, und unterhält sich eine Stunde lang mit dem aufgeweckten Jungen hoch oben in den Türmen über seine Welt, während dessen Eltern unten im Foyer warten. Josef Ackermann mag Kinder und junge Leute, »weil sie so spontan und neugierig sind«. Spontaneität und Neugier, das kennzeichnet auch ihn.
Deshalb streicht der sonst stets so disziplinierte Mann immer mal wieder kurzfristig alle Termine für einen Tag aus dem Kalender; schüttelt seine Sicherheitsleute ab, setzt eine große Sonnenbrille auf und bummelt alleine durch eine Stadt. Oder legt das sorgsam vorbereitete Manuskript einfach beiseite und redet frei und ungeschützt. Offenbar braucht er solche kleinen Fluchten, um sich in dem Dickicht der Pflichten, das ihn umgibt, nicht selbst und sein inneres Gleichgewicht zu verlieren.
Die gelegentlichen Schwächen und Ausrutscher haben, so viel Aufregung und Ärger sie verursachen, auch ihr Gutes. Josef Ackermann bekommt dadurch Ecken und Kanten, klare Konturen. Und er wirkt menschlich, authentisch und glaubwürdig – zentrale Voraussetzung für Vertrauen, das wichtigste Kapital eines Bankers.
Am 27 . Mai 2010 jedenfalls feuert der Schweizer ungewollt selbst den Startschuss für das Rennen um seine Nachfolge ab. Schon bald nach dem Start wird der erste Ausfall gemeldet. Michael Cohrs, in der Investmentbank zuständig für das klassische
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