Späte Reue: Josef Ackermann – eine Nahaufnahme (German Edition)
setze ich mich am Nachmittag ins Auto, verlasse das Gehege der Geldtürme und fahre in den nahen Rheingau bei Wiesbaden. Die Gegend liebe ich seit meiner Zeit als Finanzkorrespondent des Spiegel in Frankfurt. Beim Wandern durch die Weinberge ist mir hier oft ein guter Einstieg in eine Geschichte oder ein zielführender Rechercheschritt eingefallen.
Der Zauber der malerischen Landschaft wirkt auch jetzt. Schon nach wenigen Minuten zu Fuß ist mein Kopf frei und ich sehe klar: Im Streit um das Erbe von Josef Ackermann bleibt mir, der ich immer einen offensiven Kommunikationskurs verfolgt hatte, nur die Defensive. Eine Parteinahme für oder gegen den einen oder anderen Kandidaten, intern oder extern, verbietet sich von selbst – unabhängig davon, wo die persönlichen Sympathien des Vorstandsvorsitzenden oder meine eigenen liegen mögen. Zusammen mit meinen Kollegen kann ich jetzt nur darauf hinweisen, dass die Bank in der glücklichen Lage ist, mehrere Optionen zu besitzen. Ich kann versuchen, tatsächlichen oder vermeintlichen Auseinandersetzungen, soweit sie öffentlich werden, die Schärfe zu nehmen, und stets der Überzeugung Ausdruck verleihen, dass so oder so am Ende ein gutes Ergebnis stehen wird.
Als ich Josef Ackermann am nächsten Morgen meine Überlegungen mitteile, stimmt er ohne Zögern zu: »Let’s stay on the high road.« Will heißen: Wir verkämpfen uns in der Frage nicht!
Das öffentliche Ansehen des Schweizers hat gerade einen neuen Höhepunkt erreicht. In Washington verleiht ihm die einflussreiche außenpolitische Denkfabrik Atlantic Council für seine Verdienste bei der Bekämpfung der Finanzkrise den »Business Leadership Award«. Der ehemalige US -Präsident Bill Clinton schwärmt dabei auf offener Bühne von seinem »Freund Joe«. Der damalige Senator Chuck Hagel, heute Verteidigungsminister des Landes, hält die Laudatio. Als der Deutsche-Bank-Chef nach vorne geht, um den Preis entgegenzunehmen, ertönt aus den Lautsprechern der Gassenhauer »Das ist die Berliner Luft«. Ackermann hatte es sich so gewünscht.
In Frankfurt folgt bald darauf die traditionsreiche Auszeichnung als »European Banker of the Year« durch die internationalen Finanzjournalisten vor Ort, eine Ehrung, die in den Jahren zuvor EZB -Präsident Jean-Claude Trichet und dem Luxemburger Premier und Präsidenten der Eurogruppe, Jean-Claude Juncker, zuteilgeworden war. Und im feinen Grosvenor House Hotel an Londons Park Lane überreicht Princess Anne dem Deutsche-Bank-Chef bereits zum dritten Mal die begehrte Branchen-Trophäe »Bank of the Year« der Fachzeitschrift IFR .
In der New York Times und im Spiegel erscheinen große Porträts über Achermann. Das Hamburger Nachrichtenmagazin bezeichnet ihn als »mächtigsten Mann Deutschlands«, die wichtigste Zeitung der USA als den »mächtigsten Banker Europas«. Die ARD strahlt zur besten Sendezeit ein 45 -minütiges Filmporträt des Deutsche-Bank-Chefs aus.
Angesichts der sich häufenden Rechtsstreitigkeiten unterstreicht Josef Ackermann auf dem Aktionärstreffen Ende Mai erneut, welche Bedeutung er Moral im Geschäft beimisst: »Wir wollen unsere Gewinne auf verantwortungsvolle Weise erwirtschaften«, sagt er. Obwohl er das so oder so ähnlich schon öfter gesagt hatte, wird es nun im Kontext der Nachfolgediskussion interpretiert. Auf die Süddeutsche etwa wirkt die Passage »wie ein Seitenhieb auf Jain«. Die Zeitung konstatiert eine »Entfremdung« zwischen dem Bankchef und den Investmentbankern. »Seit Jahren« schon drifte der Schweizer »langsam weg von seinen einstigen Weggefährten«.
So sehen es offenbar auch einige Investmentbanker in London, sie fürchten um ihren Einfluss in der Bank und gehen zum Frontalangriff über. Längst zugeschüttet geglaubte Gräben brechen wieder auf. Am Samstag, dem 28 . Mai 2011 , zwei Tage nach der Hauptversammlung, berichtet die britische Financial Times auf ihrer Titelseite, Top-Manager der Bank stünden »am Rande eines offenen Krieges«, und zitiert anonym einen Londoner Deutschbanker, der Josef Ackermann hart attackiert. Dieser wirft dem Schweizer vor, entgegen den Regeln guter Unternehmensführung das Nachfolge-Verfahren an sich zu reißen (im englischen Original ist von »hijacking« die Rede) und sich zunehmend gegen Anshu Jain zu stellen. Der jedoch sei »eindeutig die Wahl der Investoren« und passe wegen seiner indischen Herkunft im Übrigen auch hervorragend zu der Strategie der Bank, gerade in den Schwellenländern
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