Späte Reue: Josef Ackermann – eine Nahaufnahme (German Edition)
Versicherungen und andere Investoren auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten. Sogar das Gipfeltreffen selbst stellt sie bis zum Schluss in Frage. Es werde nur stattfinden, wenn es auch etwas zu entscheiden gebe.
Frankreich wehrt sich gegen einen Forderungsverzicht gegenüber Griechenland. Er träfe seine Banken besonders hart, da sie in dem Mittelmeerland stark engagiert sind und auf die Staatsanleihen Athens in ihren Büchern bisher kaum Abschreibungen vorgenommen haben. EZB -Chef Trichet ist ebenfalls dagegen. Er fürchtet, dass die Investoren bei einem Schuldenschnitt auch die Staatspapiere anderer Problemstaaten abstoßen, die Ratingagenturen einen solchen Verzicht nicht als freiwillig anerkennen und den Konkursfall für Griechenland erklären – genau das, was die Eurostaaten partout verhindern wollen. Ohne die Zustimmung der Europäischen Zentralbank ist eine Lösung aber undenkbar.
Merkel und Sarkozy beschließen an diesem Donnerstagabend deshalb, Jean-Claude Trichet nach Berlin zu bitten. Der Franzose sitzt gerade in Frankfurt mit seinen Kollegen vom Zentralbankrat zusammen, als ihn der Anruf aus der deutschen Hauptstadt erreicht. Er macht sich sofort auf den Weg. Ihm schwant, was man von ihm will: Er soll seinen Widerstand gegen einen Forderungsverzicht aufgeben.
Trichet weiß, dass Josef Ackermann in seiner Eigenschaft als IIF -Präsident seit Wochen hinter den Kulissen mit Banken, Ratingagenturen, Wirtschaftsprüfern und europäischen Politikern der höchsten Ebene berät, wie sich ein Forderungsverzicht bewerkstelligen lässt, ohne dass die Ratingagenturen Griechenland für zahlungsunfähig erklären. Der Schweizer ist in diesen Tagen und Wochen »omnipräsent«, so die Frankfurter Allgemeine Zeitung .
Noch am Donnerstag der Vorwoche hatte er Jean-Claude Juncker, den Chef der Eurogruppe der Finanzminister, in seinem kleinen Ministerpräsidentenbüro in Luxemburg aufgesucht, um mit ihm abzusprechen, wie man Deutschland und Frankreich doch noch auf eine Linie bringen kann. Beide halten eine Einigung für dringend geboten. Juncker will für Dienstag der folgenden Woche ein gemeinsames Treffen mit Bundesfinanzminister Schäuble und dessen französischem Kollegen François Baroin in Brüssel arrangieren. Doch daraus wird nichts. Der Franzose sagt ab. Nun hängt alles an Merkel und Sarkozy.
Bevor Trichet nach Berlin fliegt, ruft er Ackermann an, der sich bereits seit Dienstag in Brüssel aufhält, um mit Juncker, EU -Ratspräsident Herman van Rompuy und Kommissions-Chef Manuel Barroso den Gipfel vorzubereiten. Der Schweizer versichert ihm, dass er seine Banker-Kollegen zu einem freiwilligen Forderungsverzicht bewegen kann und der Euro dabei keinen Schaden nehmen werde.
Der EZB -Chef bleibt vorsichtig: »I take note«, ich nehme es zur Kenntnis, sagt er nur. Aber er vertraut letztlich auf Ackermanns Wort. Im Kanzleramt eingetroffen, gibt er seinen Widerstand gegen einen Forderungsverzicht der privaten Gläubiger auf. Der Weg ist frei für eine Einigung zwischen Deutschland und Frankreich und damit auch für eine Lösung auf dem Gipfel am folgenden Tag.
Die Staatsschuldenkrise war Ende 2009 als Folge der Finanzkrise ausgebrochen. Um ihre Banken und mit ihnen das gesamte Finanzsystem vor dem Zusammenbruch und die Wirtschaft vor einer neuen Depression zu bewahren, hatten die Staaten Europas enorme Kredite aufgenommen, rund 800 Milliarden Euro zusätzlich allein 2009 . Die Schulden im Privatsektor, genauer: im Bankensystem, waren auf diesem Wege zu einem guten Teil zu öffentlichen Schulden geworden.
Dabei war der staatliche Schuldenberg in Europa schon vor der Krise auf schwindelnde Höhen angewachsen. Nach dem Beitritt zum Euro hatten vor allem die Südländer Griechenland, Italien, Spanien und Portugal, aber nicht nur sie, sich auf den niedrigen Zinsen ausgeruht, Jahr für Jahr an Wettbewerbsfähigkeit verloren, immer größere Leistungsbilanz- und Haushaltsdefizite angehäuft, kurz: über ihre Verhältnisse gelebt. Während etwa die Lohnkosten in Deutschland seit der Jahrhundertwende kaum gestiegen waren, hatten sie in den genannten Ländern um etwa ein Drittel zugenommen.
Die internationalen Investoren waren angesichts der überbordenden Defizite zunehmend nervös geworden. Bereits 2007 hatte Thomas Mayer, damals Chefvolkswirt der Deutschen Bank in London, vor »wirtschaftlichen Tretminen mitten in Euroland« gewarnt, »die praktisch jederzeit explodieren können«. Über die gemeinsame Währung
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