Späte Reue: Josef Ackermann – eine Nahaufnahme (German Edition)
Rollenverständnis als Oberkontrolleur diskutieren und sie bitten, für ihn eine Ausnahme von der Regel zu machen? Mit am Ende vielleicht dennoch ungewissem Ausgang? Und wäre es nicht auch Wasser auf die Mühlen aller, die behaupten, er könne nicht loslassen?
Ende August lässt der Schweizer in einem Hintergrundgespräch mit führenden Finanzjournalisten im Gästehaus der Bank, der Villa Sander direkt neben den Türmen, schon durchblicken: »Wenn ich auf der Hauptversammlung nicht gewählt werde, ist das kein Problem für mich.«
Anfang November 2011 sieht er dann den Moment zum Rückzug gekommen. Gerade hatte er seinen internationalen Bankerkollegen die Zustimmung abgerungen, auf die Hälfte ihrer Forderungen gegenüber Griechenland zu verzichten, damit den Weg zur Rettung des Landes vor dem finanziellen Kollaps und zum Zusammenhalt der Eurozone freigemacht und sich einen Platz in der europäischen Wirtschaftsgeschichte gesichert.
Ackermann teilt dem Aufsichtsrat mit, doch nicht für dessen Vorsitz bereitstehen zu wollen. Respektabler Ersatz ist bald gefunden: Paul Achleitner, einst Deutschland-Chef der Investmentbank Goldman Sachs und zuletzt viele Jahre im Vorstand der Allianz, soll Ende Mai 2012 den Posten übernehmen.
Nach Bekanntgabe der neuerlichen Volte spottet die Börsenzeitung , Ackermanns Kurs in eigener Sache sei »ungefähr so geradlinig wie die Streckenführung der Rhätischen Bahn«. Den Perfektionisten stört das selbst am meisten, aber im Laufe der Zeit hat auch er lernen müssen, dass das Leben nicht immer in geraden Bahnen verläuft. Seine größte Sorge ist, wie die Mitarbeiter reagieren. In wenigen Tagen steht eine Veranstaltung der Leitenden Angestellten im Hause an, bei der er eine Ansprache halten soll. Nie habe ich Josef Ackermann vor einem Auftritt nervöser erlebt.
Schon als er den Versammlungssaal betritt, merkt er jedoch, dass alles gut wird. Die Anwesenden empfangen ihn mit lang anhaltendem Beifall, manche haben sogar feuchte Augen. Sie spüren: Eine Ära geht zu Ende. Der Respekt überwiegt in diesem Moment die Enttäuschung. Ackermann ist erleichtert, eine schwere Last fällt von ihm ab, nun kann er im Mai 2012 guten Gewissens in seine Heimat zurückkehren und dort wie schon länger beabsichtigt den Vorsitz des Verwaltungsrats der Zurich-Versicherungsgruppe übernehmen, eine der bedeutendsten Assekuranzen der Welt.
Auch ich bin froh, dass die Ära Ackermann nun nach einem Jahrzehnt mit einem sauberen Schnitt enden wird. Nicht nur, weil dies zufällig mit meinem letzten Arbeitstag bei der Bank zusammenfällt. Eine Verlängerung als Chefkontrolleur – noch dazu eines Führungsduos, das für ihn nicht die erste Wahl gewesen war – würde weder der Bank noch seinem eigenen Rufe guttun. Aufgrund seiner außerordentlichen Prominenz würde die Öffentlichkeit alles, was bei der Deutschen Bank geschieht, weiter an ihm festmachen – auch wenn er das allermeiste davon in Wahrheit gar nicht entschieden hat. Ein Rezept für Konflikte.
Bis zur Jahrespressekonferenz im Februar 2012 behält Josef Ackermann die Zügel fest in der Hand. Erst in den letzten drei, vier Monaten seiner Amtszeit lässt er locker, um seinen Nachfolgern den Start zu erleichtern. Bis zum Schluss räumt der Schweizer noch möglichst viele Altlasten beiseite, treibt die Reform seiner Zunft voran und widmet seine Kräfte der Lösung der europäischen Schuldenkrise.
Kapitel 11
Vom Banker zum Staatsmann
Es ist Donnerstag, der 20 . Juli 2011 . Im 8 . Stock des Berliner Kanzleramts sitzen Angela Merkel und Nicolas Sarkozy zusammen mit Finanzminister Wolfgang Schäuble beim Abendessen. Der französische Staatspräsident war am Nachmittag kurz entschlossen von Paris nach Berlin geflogen, um mit der Bundeskanzlerin den Gipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs am nächsten Tag in Brüssel vorzubereiten. Er muss ein Erfolg werden, sonst droht dem Euro ein Desaster.
Inzwischen ist neben Griechenland, Spanien, Portugal und Irland auch Italien ins Visier der internationalen Kapitalanleger geraten. Die europäische Staatsschuldenkrise, die seit Anfang 2010 den Kontinent und die Welt in Atem hält, treibt einem neuen Höhepunkt zu.
Um die Finanzmärkte zu beruhigen, ist ein zweites Milliardenprogramm für Griechenland erforderlich. Doch die Europäer sind sich uneins. Seit Wochen gibt Angela Merkel die eiserne Kanzlerin. Deutschland werde nur weiter Geld geben, wenn auch der Privatsektor mitmache, also Banken,
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