Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Späte Schuld

Späte Schuld

Titel: Späte Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kessler
Vom Netzwerk:
die Tablette nicht mehr, sondern klemmte sie unter die Zunge und trank nur das Wasser, mit dem er sie herunterspülen sollte.
    Das war kein ganz einfacher Vorgang: Pille unter die Zunge, schlucken, Plastikbecher zurückgeben, zwanzig Sekunden warten, bis die Schwester weg war, nach einem Papiertuch greifen, die Pille hineinspucken und dabei so tun, als würde man husten oder niesen. Sobald der Polizist das nächste Mal aus dem Zimmer ging, um sich zu erleichtern, legte Manning die Pille zu seiner Sammlung, die er in ein Papiertuch gewickelt im Nachtschränkchen aufbewahrte. Auf die Weise war bereits ein hübscher kleiner Vorrat an Schlaftabletten entstanden, und wenn er genügend Tabletten beisammen hatte, würde er zuschlagen.

Mittwoch, 26. August 2009 – 21.35 Uhr
    Ein paar Sekunden lang blieb Andi zutiefst verwirrt vor der Tür stehen.
    Gene durfte doch laut richterlicher Anordnung gar keinen Kontakt zu Bethel Newton haben! Warum redete sie also jetzt mit ihr? Hatten die beiden etwa die ganze Zeit in Kontakt gestanden? Wie lange ging das schon so?
    Sie musste es herausfinden. Aber würde Gene ihr das einfach so sagen? Schließlich hatte sie auch bisher hinter ihrem Rücken gehandelt. Sollte sie Gene sofort zur Rede stellen und sie klipp und klar fragen, was hier vor sich ging?
    Das Problem dabei war, dass sich Bethel Newton mit ihr im Zimmer befand. Wenn Andi jetzt einfach so hineinstürmte und ihre Freundin konfrontierte, hatte das unter Umständen eine traumatisierende Wirkung auf sie. Und was Bethel durchgemacht hatte, reichte wirklich für ein ganzes Leben. Was für ein Recht hatte Andi, ihr Leid noch zu verstärken, indem sie dieses Zimmer betrat und Antworten verlangte?
    Sie war sauer auf Gene, nicht auf Bethel.
    Wenn sie jetzt hineinging, hatte sie außerdem die Pflicht, die Richterin über das Gesehene zu informieren. Das hätte die Ungültigkeit des Verfahrens zur Folge gehabt, und dann hätte Claymore noch mehr Zeit in Untersuchungshaft verbringen müssen. Sie hatte schließlich auch ihm gegenüber eine Verpflichtung. Er saß im Gefängnis und musste jeden Tag mit der Angst leben, von einem Mithäftling umgebracht zu werden. Wenn sie jetzt die Ungültigkeit des Verfahrens riskierte, war der nächste freie Prozesstermin vielleicht erst wieder in ein paar Monaten. Und die Verteidigung würde noch nicht einmal damit argumentieren können, dass dies Claymores Recht auf ein schnelles Verfahren verletzte – schließlich hätte sie sich die Verzögerung selbst zuzuschreiben. Sie konnte ihren Mandanten unmöglich zu einer noch längeren Wartezeit im Gefängnis verdammen. Also musste sie einen sinnvollen Weg finden, mit der Situation umzugehen.
    Plötzlich kam ihr eine Idee. Auch sie konnte zur Ungültigkeit des Verfahrens führen, aber einen Versuch war es wert.
    Andi machte auf dem Absatz kehrt und verließ das Gebäude.

Mittwoch, 26. August 2009 – 21.40 Uhr
    »Die Tests von Claymore und Manning sind also beide ungültig«, sagte Sarah Jensen.
    Sie hatte bereits direkt nach dem Debakel mit Johnson versucht, Detective Riley zu erreichen, aber auf der Wache hatte man ihr gesagt, dass Bridget unterwegs sei, und ihr Handy war ausgeschaltet gewesen. Inzwischen war Bridget jedoch wieder in Ventura angekommen, und Sarah Jensen setzte sie über die gestrigen Ereignisse im Gerichtssaal ins Bild.
    »Trotzdem komisch, dass beide Tests positiv waren.«
    »Ja, wirklich seltsam«, gab ihr Sarah recht. »Aber die Fingernagelprobe, mit der die DNA verglichen wurde, war gefälscht, deshalb sind die Ergebnisse keinen Pfifferling mehr wert.«
    »Sorgen mache ich mir trotzdem. Was ist, wenn bei der Reserveprobe das Gleiche herauskommt und wir wieder zwei Übereinstimmungen haben?«
    »Möglich wäre es theoretisch. Sedaka hat ja bereits darauf hingewiesen, dass es 37 000 Afroamerikaner mit diesem Haplotyp gibt.«
    »Irgendwie habe ich ein ungutes Gefühl bei der Sache. Bestimmt wird Sedaka das Ganze als klassische Vernebelungstaktik nutzen.«
    »Hat er doch schon. Wir müssen einfach deutlich machen, dass die DNA nicht der einzige Beweis ist, den wir gegen Claymore in der Hand haben, sondern nur eins von vielen Puzzleteilen.«

Mittwoch, 26. August 2009 – 22.30 Uhr
    Als Andi spät an diesem Abend nach Hause kam, lag Gene zusammengerollt auf dem Sofa im Fernsehzimmer. Sie sprang auf, als sie Andi hörte.
    »Wo warst du? Ich habe mir Sorgen um dich gemacht!«
    »Wieso Sorgen?«, fragte Andi kühl.
    »Ich habe das Abendessen

Weitere Kostenlose Bücher