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Späte Schuld

Späte Schuld

Titel: Späte Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kessler
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Uhr
    »Hallo, Bethel. Wie geht es dir?«
    »Ganz okay«, antwortete Bethel schwach.
    »Hast du gesehen, was im Gerichtssaal passiert ist?«
    »Ja … im Fernsehen.«
    »Ich auch.«
    Bethel hatte während der Dauer des Prozesses bei einer Freundin in Oakland gewohnt, weil sie sich verfügbar halten musste, bis sie als Zeugin entlassen wurde, für den Fall, dass eine der Parteien sie noch einmal aufrufen wollte. Aber nach der Vertagung hatte sie eine SMS erhalten, die sie bewogen hatte, nach L.A. zurückzukehren.
    »Ich hatte Angst, dass die Klage ganz abgeschmettert wird.«
    »Wurde sie aber nicht«, sagte Bethel.
    »Ich weiß. Tja, jetzt wissen wir endlich, warum die DNA Claymore belastet hat.«
    »Ja. Allerdings könnten sie jetzt, wo sie es herausgefunden haben …« Bethel verstummte.
    »Ich weiß, ich weiß. Aber dieses Risiko bestand von Anfang an. Du weißt doch, was die Italiener sagen: Que sera, sera .«
    »Was?«
    »Es kommt, wie es eben kommt.«
    Bethel fing an zu weinen.
    »Na hör mal, du weinst doch nicht etwa? Du hast dem Mistkerl mal so richtig Angst eingejagt, das ist doch auch schon was!«
    »Darüber mache ich mir ja auch keine Sorgen.«
    »Du musst dir über gar nichts Sorgen machen. Selbst wenn Claymore freigesprochen wird, bist du deswegen noch lange keine Lügnerin. Dafür können sie dich nicht belangen. Es war schlicht und ergreifend eine Verwechslung.«
    »Nein, du verstehst mich nicht! Dich habe ich auch gekratzt!«
    »Wovon redest du?«
    »Als ich deinen Arm gepackt habe. Erinnerst du dich nicht mehr?«
    Einen Moment lang herrschte Stille. »Das war mit deiner rechten Hand. Da bin ich mir sicher.«
    »Ja …«
    »Von welcher Hand haben sie die Nagelprobe genommen, von der linken oder der rechten?«
    »Der linken, glaube ich. Nein, warte mal. Ich glaube, von beiden. Zwei von der linken und eine von der rechten.«
    »Okay, was soll’s. Die Proben werden auf Y-Chromosomen-DNA getestet, und die haben nur Männer. Außerdem haben sie nichts, womit sie die DNA vergleichen können – nichts von mir, meine ich.«
    »Gut.«
    »Jetzt schläfst du dich erst mal aus … und hörst auf, dir Sorgen zu machen.«
    »Da ist aber noch etwas … Am Samstag habe ich so einen komischen Anruf bekommen.«
    »Von wem?«
    »Von einer Frau. Ich weiß nicht, woher sie meine Nummer hatte. Jedenfalls hat sie gesagt, dass sie dafür sorgen wird, dass Claymore bekommt, was er verdient.«
    »Und es war niemand, den du kennst?«
    »Die Stimme kam mir bekannt vor, aber sie war verzerrt.«
    »Hat sie gesagt, woher sie deine Nummer hat?«
    »Nein.«
    »Hast du sie gefragt?«
    »Ich hab nicht daran gedacht. Sie hat mich völlig unvorbereitet erwischt.«
    »Und sie hat nicht gesagt, wer sie ist? Oder was sie ist? Ich meine, was sie so macht?«
    »Nein … aber sie hat mir einen Namen genannt. Einen ziemlich seltsamen Namen.«
    »Und wie lautet der?«
    »Ich glaube, es war etwas Ähnliches wie … Lannosea. So klang es jedenfalls.«
    »Lannosea?«
    »Ja. Sagt dir das irgendetwas?«
    »Nein, aber ich werde es bei Google eingeben. Dann sehen wir ja, was dabei herauskommt.«

Mittwoch, 26. August 2009 – 21.05 Uhr
    Auf der Fahrt zum Krisenzentrum grübelte Andi weiter über ihr Dilemma nach: Sie half einem erwiesenen Vergewaltiger, der angeblich geläutert war, aber es kraft seines früheren schlechten Rufes zu Reichtum und Ansehen gebracht hatte. Und dennoch tat sie aus berufsethischer Sicht nichts Falsches. Im Gegenteil: Es waren ihre negativen Gedanken, die gegen die guten Sitten ihres Berufsstandes verstießen. Ein Verteidiger darf nicht zulassen, dass ihn ein Fall emotional berührt. Er muss sich ungeachtet seiner persönlichen Ansichten voll und ganz für den eigenen Mandanten einsetzen. Und wenn dieser dann für sein Verbrechen in den Knast wandert, hat er zumindest einen fairen Prozess erhalten, und dem System wurde Genüge getan.
    Aber was, wenn man einen Mandanten vor dem Knast rettet, der in Wirklichkeit schuldig ist? Wie lebt man hinterher damit?
    Sie kannte die gängige Antwort. Das Rechtssystem verfügt langfristig gesehen über seine eigenen Ausgleichsmechanismen. Ein Krimineller, der mit einer Straftat davonkommt, kann sich in zwei verschiedene Richtungen entwickeln: Entweder jagt ihm die Erfahrung, beinahe ins Gefängnis gekommen zu sein, einen solchen Schrecken ein, dass er in Zukunft sauber bleibt, oder er wird übermütig und glaubt, jederzeit ungestraft gegen das Gesetz verstoßen zu können. Je öfter er

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