Späte Schuld
leiseste Erinnerung daran, dass du sie vor fünfundzwanzig Jahren brutal vergewaltigt hast.«
Claymore ließ den Kopf hängen. Erst jetzt spürte er die ganze Wucht seiner Schande und seiner Schuld.
»Stell das lauter!«, herrschte ihn Gene plötzlich an.
Er hob den Kopf und sah ein Polizeifoto von Louis Manning auf dem Fernsehbildschirm. Zögernd griff er nach der Fernbedienung und stellte den Ton lauter.
»Manning wurde nur von einem einzigen Polizisten bewacht, und es deutet alles darauf hin, dass er einen Moment der Ablenkung dazu nutzte, diesem ein Schlafmittel in den Kaffee zu mischen. Die Schlaftabletten hatte er zuvor tagelang gehortet. Die Polizei weigert sich, Angaben zum Gesundheitszustand der von Manning überwältigten Krankenschwester zu machen, aber laut inoffizieller Quellen hat er vor Verlassen des Zimmers zu ihr gesagt, er habe noch eine alte Rechnung zu begleichen. Weder Polizei noch Klinik bestätigen oder dementieren dieses Gerücht.«
»Oh Gott!«, rief Gene. Dann drehte sie sich um und rannte aus dem Zimmer.
Claymore hätte jetzt aufatmen können, aber der Druck auf seiner Brust ließ nicht nach. Dieser Irre lief da draußen frei herum und hatte es auf irgendjemanden abgesehen. Aber auf wen? Sarah Jensen? Bridget Riley? Bethel Newton?
Wie aufs Stichwort piepste und blinkte in diesem Moment sein Handy. Er griff danach und rief die SMS ab, die gerade hereingekommen war.
Du wirst einen hohen Preis dafür zahlen müssen, dass du meinen Plan vereitelt hast. Ich werde Andi umbringen. Ihr Blut klebt an deinen Händen.
Lannosea
Mittwoch, 2. September 2009 – 18.20 Uhr
»Hallo, könnte ich bitte mit Martine Yin sprechen? Ich weiß leider nicht genau, welche Zimmernummer sie hat.«
Louis telefonierte immer noch die Hotels von Oakland durch. Er näherte sich bereits dem Ende seiner Liste und fragte sich, ob Martine nicht vielleicht doch in San Francisco abgestiegen war. Auf der anderen Seite der Bay Bridge gab es sicher bessere Hotels. Andererseits war sie ursprünglich nach Nordkalifornien gekommen, um über einen Prozess in Oakland zu berichten. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie jeden Tag gependelt und auf der Brücke im Stau gestanden hatte.
Allerdings war sie später von dem Fall abgezogen worden, vermutlich wegen ihrer Beziehung mit diesem Anwalt. Vielleicht übernachtete sie also bei ihm oder in einem Hotel, das näher an seinem Haus oder seiner Kanzlei lag.
Es könnte daher durchaus sein, dass er auch die Hotels in San Francisco würde durchtelefonieren müssen.
»Ich stelle Sie durch, Sir.«
Sein Herz hüpfte vor Erregung. Er hatte sie gefunden!
Ein paar Sekunden später ertönte das Freizeichen. Eigentlich hätte er jetzt auflegen müssen, um sie nicht in Alarmbereitschaft zu versetzen. Aber er wollte ganz sichergehen, dass sie es war. Vielleicht hatte der Hotelangestellte nur den Namen nicht richtig verstanden.
»Hallo?«, fragte die Stimme, die er aus dem Fernsehen kannte. Sie war es wirklich. Die Frau, über die er im Parkhaus hergefallen war. Die Frau, die ihm Pfefferspray ins Gesicht gesprüht und sich aus seiner Gewalt befreit hatte. Die Frau, die Schuld daran trug, dass er sich das Bein gebrochen hatte und anschließend verhaftet worden war … und zu allem Überfluss auch noch als Vergewaltiger von Bethel Newton aufgeflogen war.
Fester als beabsichtigt knallte er den Hörer auf die Gabel.
Dafür würde diese Schlampe bezahlen.
Mittwoch, 2. September 2009 – 18.30 Uhr
In ihrem Zimmer im Waterfront Hotel an der East Bay grübelte Martine Yin über den mysteriösen Anruf nach. Wahrscheinlich war es Alex gewesen, der geglaubt hatte, sie sei nicht im Zimmer. Andererseits hätte er es dann auf ihrem Handy probiert.
Egal , dachte sie. Wenn es wichtig war, ruft derjenige bestimmt noch mal an.
Um den Sender nicht über ihre Beziehung mit Alex informieren zu müssen, hatte sie die versuchte Vergewaltigung als Grund für ihren Rückzug von der Berichterstattung angegeben. Und sich bis einschließlich Montag, den 7. September, freigenommen, um diese traumatische Erfahrung in Ruhe zu verarbeiten. Das hatte vor allem den Vorteil, dass sie mehr Zeit mit Alex verbringen konnte, was hoffentlich auch für das kommende Wochenende galt.
Es war noch ein bisschen zu früh, um über eine gemeinsame Wohnung nachzudenken. Nun, das ging schon allein aus beruflichen Gründen nicht. Ihr Sender saß in Südkalifornien, während Alex fest in San Francisco verwurzelt war. Außerdem
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