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Späte Schuld

Späte Schuld

Titel: Späte Schuld
Autoren: David Kessler
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wie ein Unmensch dazustehen.«
    »Das Opfer entweihen?«, wiederholte Levine fragend.
    Jo Gale unterbrach das nun folgende Schweigen: »Ein Euphemismus für den Rufmord, den schäbige Ganoven begehen, um Vergewaltigern und Frauenmördern dabei zu helfen, ihrer gerechten Strafe zu entkommen.«
    Alex lächelte, nicht höhnisch, sondern voller Respekt für Jo Gales resolute Haltung. »Ich betrachte es lieber als Wiederherstellen der Kräfteverhältnisse, nachdem die Staatsanwaltschaft bei den Geschworenen auf die Tränendrüsen gedrückt hat.«
    »Nun, wenn Sie das Opfer nicht ›entweihen‹ können«, fragte Jo Gale, »wie gedenken Sie dann , die Kräfteverhältnisse wiederherzustellen?«
    »Indem ich Claymore als harmlos darstelle.«
    »Und wie wollen Sie das erreichen?«
    Alex warf einen Blick in die Runde, um die Stimmung abzuschätzen. Offensichtlich wollte sich sonst niemand dazu äußern. Das Meeting hatte sich in einen erbitterten Zweikampf zwischen ihm und Jo Gale verwandelt.
    »Ganz einfach. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.«
    Jo Gale stützte die Ellbogen auf den ovalen Tisch und beugte sich vor, um Alex unnachgiebig in die Augen zu sehen.
    »Und was für ein Bild wollen Sie für die Geschworenen malen?«
    »Ich setze eine attraktive Frau neben Claymore. Sie muss kein einziges Wort zu seinen Gunsten sagen, sondern einfach nur ganz entspannt dasitzen und sich wohlfühlen. Das reicht.«
    Jo wich fast angewidert vor ihm zurück. »Vergessen Sie’s, Mr Sedaka«, sagte sie. »Dazu wird es nicht kommen.«
    Mühsam widerstand Alex dem Drang zu lächeln.
    Sherman, der bisher verzweifelt versucht hatte, sich unsichtbar zu machen, richtete sich nun im Stuhl auf, weil er die Gelegenheit witterte, bei seinen Senior-Partnern zu punkten. »Wie wäre es denn mit Andi Phoenix?«
    Alle Köpfe drehten sich zu ihm, aber es war Jo, die das Wort ergriff – in hörbar defensivem Ton: »Wer ist Andi Phoenix?«
    »Eine Kollegin aus unserer New Yorker Kanzlei. Wir brauchten jemanden für die Opfervertretung, und sie hat angebissen, weil sie wusste, dass sie im Big Apple keine Aufstiegschancen hatte. Also ist sie nach Kalifornien gekommen.«
    »Und du meinst, sie wird sich dazu bereit erklären?«, fragte Webster.
    »Sie sieht gut aus, und sie ist ehrgeizig. Ich weiß, dass sie ein bisschen mehr Action begrüßen würde. Wenn ihr also ein hübsches Ding braucht, das entspannt neben Claymore sitzt und die Klappe hält, müsst ihr Andi Phoenix bestimmt nicht lange überreden.«

Freitag, 12. Juni 2009 – 16.30 Uhr
    »Auf gar keinen Fall!«, erklärte Andi rundheraus.
    Sie saßen in einem der kleineren Besprechungszimmer: Andi, Paul Sherman und Alex Sedaka.
    »Warum nicht?«, fragte Alex. »Das wäre doch eine tolle Erfahrung für Sie – und eine Herausforderung.«
    »Erzählen Sie mir nicht, was gut für mich wäre, Mr Sedaka. Ich bin aus dem Alter raus, in dem ich solche Herausforderungen gebraucht habe. Und ich habe an der Ostküste bereits reichlich Erfahrung ge…«
    »Mein Fehler, entschuldigen Sie«, unterbrach Alex sie. »Ich dachte, Sie seien hergekommen, weil Ihre Karriere in New York nicht mehr so recht weiterkam.«
    Andi hätte ihn am liebsten für seinen Sarkasmus geohrfeigt, genau wie Sherman, weil er sie in diese Situation gebracht hatte. Aber sie zügelte ihre Wut. »Das heißt nicht, dass ich mich hier um die niederen Aufgaben reißen muss.«
    »Es sagt ja auch keiner, dass Sie sich darum reißen. Schließlich bin ich auf Sie zugekommen. Alles, um was ich Sie bitte, ist Ihre Unterstützung für unseren Mandanten.«
    »Er ist Ihr Mandant, nicht meiner.«
    »Er ist Mandant von Levine und Webster«, schaltete sich Sherman ein. »Also ist er auch Ihr Mandant.«
    »Das bedeutet nicht, dass ich mich prostituieren muss, um ihn zu verteidigen.«
    »Wir verlangen ja auch gar nicht, dass Sie sich prostituieren«, beschwichtigte Alex. »Wir verlangen nur, dass Sie für den Grundsatz eintreten, dass ein Mensch so lange unschuldig ist, bis ihm seine Schuld bewiesen wurde.«
    »Jetzt machen Sie mal halblang, Mr Sedaka. Wozu brauchen Sie da ausgerechnet mich? Ich bin Prozessanwältin für Zivil recht …«
    »Sie haben aber auch Erfahrung im Strafrecht«, fiel ihr Sherman ins Wort. »Sie kennen beide Seiten der Medaille.«
    »Es gibt hier jede Menge Strafrechtsanwälte, die erfahrener sind als ich. Wozu brauchen Sie also mich?«
    »Na gut, ich will ehrlich zu Ihnen sein«, erklärte Alex. »Ich möchte gar nicht, dass Sie
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