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Späte Schuld

Späte Schuld

Titel: Späte Schuld
Autoren: David Kessler
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nicht an Mr Levines Schmeicheleien, sondern daran, dass endlich die wahren Interessen beider Parteien zutage traten. Ihm fiel auf, dass der Mann so taktvoll war, den Clayton-Burrow-Fall nicht zu erwähnen.
    »Mit Berufsstolz hat das nichts zu tun. Aber ich bin nicht nur Elias Claymores Anwalt, ich bin auch sein Freund. Ich werde ihn ganz sicher nicht im Stich lassen oder ihm in irgendeiner Form das Gefühl geben, dass ich den Fall bei jemand anderem abladen will.«
    »Das verlangen wir ja auch gar nicht. Wir wollen nur …«
    »Ich weiß, was Sie wollen. Dennoch bin ich weiterhin nicht der Meinung, dass ihn irgendjemand aus Ihrer Strafrechtsabteilung besser vertreten könnte als ich.«
    Webster konnte sich nicht länger zurückhalten und beugte sich erneut nach vorn. »Aber wir verfügen über die nötigen Ressourcen …«
    »Dann bündeln wir doch unsere Ressourcen«, schlug Alex vor.
    Das brachte die Runde für einige Sekunden zum Schweigen.
    »Wie meinen Sie das?«, fragte Levine, der einzige Mann im Raum, der das Rückgrat und die Courage besaß, das Schweigen zu brechen und Alex offen in die Augen zu sehen.
    »Ich biete Ihnen an, mir einen zweiten Anwalt zur Seite zu stellen.«
    Websters heftiges Temperament flammte wieder auf: »Wir wollen aber keinen zweiten Anwalt stellen. Wir wollen, dass Sie …«
    Erneut brachte Levines erhobene Hand seinen Partner zum Schweigen. »Könnten Sie das näher ausführen?«
    »Natürlich. Wir könnten zusammen an diesem Fall arbeiten. Ich stelle die Weichen, und Sie unterstützen mich mit Ihren beeindruckenden Ressourcen und wählen Ihren besten Mann – oder Ihre beste Frau – aus, der mich in den Gerichtssaal begleitet und Ihnen hinterher Bericht erstattet.«
    »Aber Sie behalten das Zepter in der Hand.« Levines Bemerkung war weniger eine Frage als eine Feststellung.
    »Ich bleibe der erste Anwalt«, bestätigte Alex in abschließendem Tonfall, um deutlich zu machen, dass dieser Punkt nicht zur Diskussion stand.
    Ein fröhliches Lächeln erschien auf Aaron Levines Gesicht und hellte die Stimmung im Saal auf. »Ich glaube, damit können wir leben«, sagte er und sah Webster fragend an. Sein Freund nickte und war sichtlich um einen neutralen Gesichtsausdruck bemüht.
    »Gut. Dann nichts wie an die Arbeit.«
    Die Anspannung wich aus den Gesichtern der Anwesenden und machte einem Lächeln Platz, das sich wie eine ansteckende Krankheit um den Tisch herum ausbreitete.
    »Ich finde, der Fall stinkt zum Himmel«, sagte Joanne Gale, eine Frau Anfang dreißig, die sich vorbeugte und Blickkontakt mit Webster suchte. Sie war die einzige weibliche Partnerin in der Kanzlei.
    »Warum?«, fragte Webster.
    »Sie wissen, warum. Der Mann ist ein Vergewaltiger.«
    »Ein mutmaßlicher Vergewaltiger«, korrigierte Webster sie. »Außerdem hat Sie das vorher auch nie gestört.«
    Er hatte recht. Die Kanzlei hatte bereits häufiger Mandanten vertreten, die der Vergewaltigung bezichtigt wurden – und bisweilen hatte es wenig Anlass gegeben, an ihrer Schuld zu zweifeln.
    »Diesmal ist es etwas anderes. Claymore hat auch in der Vergangenheit schon Frauen vergewaltigt.«
    »Und seine Strafe dafür abgesessen«, merkte Alex an. »Das heißt noch lange nicht, dass er diesmal schuldig ist. Menschen ändern sich.«
    »Beim letzten Mal ist er glimpflich davongekommen.«
    »Das haben nicht wir zu beurteilen.« Dieser Einwurf kam von Webster. Alle anderen schwiegen, Alex eingeschlossen. Er hätte Claymore gerne verteidigt oder diese Frau an ihr Berufsethos erinnert, aber das war nicht seine Aufgabe. Wenn sie ein Problem damit hatte, dass Levine und Webster sich an Claymores Verteidigung beteiligten, dann musste sie das mit ihren Kollegen ausmachen.
    Wieder blieb es Aaron Levine überlassen, das Schweigen zu brechen: »Haben wir überhaupt eine Chance zu gewinnen? Es ist dem Ansehen einer Kanzlei nicht unbedingt förderlich, wenn sie einen öffentlichkeitswirksamen Prozess verliert.«
    Die anderen Partner sahen betreten zu Boden oder wandten den Blick ab. Alex merkte schnell, dass die Frage eigentlich an ihn gerichtet war.
    Er sah dem alten Mann in die Augen. »Es wird ein harter Kampf.«
    »Wie hart?«
    Alex dachte einen Augenblick nach. »Es liegen bereits viele Tathinweise vor, die wir entkräften müssen. Und die negativen Auswirkungen von Claymores Vorgeschichte darf man natürlich auch nicht unterschätzen. Leicht wird es nicht. Das größte Problem ist, dass ich das Opfer nicht entweihen kann, ohne
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